Teilprojekt D7
Von der militärischen zur politischen Heroisierung: Paul von Hindenburg und Philippe Pétain im Vergleich
Teilprojektleitung: Prof. Dr. Jörn Leonhard; Mitarbeiter: Stefan Schubert
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Das Teilprojekt untersuchte als komparative historische Analyse die Voraussetzungen und Veränderungen in den Heroisierungen Paul von Hindenburgs und Philippe Pétains, ihren Instrumentalisierungen und politischen Wirkungen in der deutschen und der französischen Gesellschaft im frühen 20. Jahrhundert. Vor dem Hintergrund von aus dem Ersten Weltkrieg hervorgehenden, neuartigen Ordnungsvorstellungen wurde der Zusammenhang zwischen militärischem Heldentum und politischer Legitimation im Zeitalter ideologischer Extreme beleuchtet. Dabei wurde das Verhältnis von heroisierenden Zuschreibungen und Selbstheroisierungen der Akteure in den Blick genommen. Heroisierungsprozesse sollten so genutzt werden, um über kontrovers diskutierte Zuschreibungen die Bedingungen von Stabilität und Instabilität in den beiden Nachkriegsgesellschaften zu untersuchen.
Als Ausgangspunkt des Projektes wurde nach den Voraussetzungen und Bedingungen der Heroisierungen Hindenburgs und Pétains sowie nach deren treibenden Kräften und Akteuren gefragt. Konkret ging es um die Übersetzungsprozesse von militärischem Heldentum in politisches Kapital während des Krieges und in den jeweiligen Nachkriegskontexten. Methodisch verbanden sich erfahrungsgeschichtliche Ansätze mit deutungs- und argumentationsgeschichtlichen Zugriffen, die ein systematisch komparatives Vorgehen rahmte. Durch den historischen Vergleich konnte das Projekt die bisherige Dominanz der deutschen und der französischen Nationalgeschichtsschreibungen zu Hindenburg und Pétain überwinden.
Der Untersuchung lagen ein breites Spektrum an Quellengattungen zugrunde, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf zeitgenössischen Biographien und biographischer Broschürenliteratur sowie auf dem Massenmedium Zeitung ruhte, das sich im besonderen Maße für eine Analyse tagesaktueller politischer Deutungskämpfe eignet. Über archivalische Quellen wie persönliche Nachlässe, Akten der Reichskanzlei bzw. des cabinet civil oder im Zuge von Pétains Hochverratsprozess zusammengestellte Bestände der Archives Nationales hinaus wurden Prozesse der Autoheroisierung sowie der nicht öffentlichen politischen Kampagnen erschlossen.
Zur Umsetzung konzentrierte sich das Forschungsvorhaben auf die unmittelbare Wirkungsgeschichte der beiden Figuren zu ihren Lebzeiten und setzte mit deren militärischem Wirken während des Ersten Weltkrieges ein. Die Analyse fokussierte verschiedene Ebenen, mit denen die zeitgenössischen Heroisierungsprozesse als medial multidimensionales Phänomen und damit als hochambivalenter Prozess aufgedeckt werden konnten. Dabei zeigte sich, dass Hindenburg und Pétain als heroische Figuren während des Krieges auf unterschiedliche Weise integrierende und systemstabilisierende Funktionen übernahmen. Auch nach dem Krieg erwiesen sie sich als Spiegel für die politisch-gesellschaftlichen Deutungskämpfe um zeitgenössische Ordnungsmodelle im Zeichen der Krisen nach 1918 bzw. nach 1940.
Auf theoretischer Ebene wurden gängige Ansätze zum Politischen Mythos um heuristische Zugriffe des Heroischen erweitert, die Heroisierungen als ein komplexes, relationales Feld polyvalenter Deutungszuschreibungen erkennen lassen. Der damit einhergehende Blick auf die Akteure der Heroisierung sowie auf die verschiedenen Verehrergemeinschaften der heroischen Figuren ließ weitreichende Rückschlüsse auf zeitgenössische Selbstthematisierungen in Deutschland wie in Frankreich zu. Das Projekt ging dabei von einem engen Wechselverhältnis zwischen dem Heroischen und dem Politischen als kulturelle Produkte gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse aus. Über diese Perspektive der neuen Kulturgeschichte des Politischen lassen Heroisierungs- und Deheroisierungsprozesse wichtige Rückschlüsse auf die sie bedingenden politischen Kulturen zu.
Diese Annäherung an die soziokulturelle Bedingtheit der politischen Herrschaft Hindenburgs zwischen 1925 und 1934 sowie Pétains zwischen 1940 und 1944 ist vereinzelt zwar bereits angesprochen worden[1],jedoch fehlte es bisher an einer systematischen Erarbeitung und einem produktiven Vergleich dieser beiden bedeutenden Akteure. Neben diesen Deutungskämpfen und der impliziten Kontroversität der Heroisierungen hinterfragte das Teilprojekt nationalhistoriographische Interpretamente und untersuchte die Voraussetzungen zur Durchsetzung neuartiger, personalisierter Ordnungsmodelle aus einer transnationalen Perspektive.
Vor dem Hintergrund der Politisierungen der beiden Akteure und der sich daraus ergebenden inhaltlichen Verschiebungen der ihnen zugeschriebenen heroischen Qualitäten konnten Rückschlüsse auf die Überzeugungskraft von politisch-gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen getroffen und deren Wechselwirkungen näher untersucht werden. Besondere Aufmerksamkeit lag zudem auf dem ambivalenten Spannungsfeld zwischen der bewussten Selbstheroisierung Hindenburgs und Pétains und der von außen an sie herangetragenen heroisierenden Zuschreibungen. Besonders anhand dieses Spannungsfelds zeigte sich, dass die beiden als politische Akteure keinesfalls unumstrittene Stabilisationsfaktoren waren.
Beide heroische Figuren fungierten als diskursive Kristallisationspunkte politischer und historischer Deutungskämpfe. Dieser Erkenntnis folgend hat sich das Projekt auf Phasen der umstrittenen Politisierungen der beiden Militärs und auf die mit ihnen diskursiv verbundenen Deutungskämpfe fokussiert. Im Laufe der Projektarbeit wurde die performative Selbstinszenierung Hindenburgs und Pétains zusätzlich berücksichtigt und das Quellenkorpus entsprechend um öffentliche Auftritte, Reden und unter dem Namen der beiden veröffentliche Publikationen ergänzt. Diese Erweiterungen ließen kommunikative Prozesse und vor allem ambivalente Subjekt-Objektpositionen analytisch zum Vorschein kommen, innerhalb derer sich beide Protagonisten als selbstheroisierende und dezidiert politische Akteure erwiesen. Die Selbstheroisierung der beiden Militärs und späteren Staatschefs erfolgte über den Anschluss an durch die Erfahrungen des Weltkrieges emotional hoch aufgeladene Deutungsmuster des Soldatischen, der Führung und des Nationalismus. Diese Faktoren haben sich für die weitere Untersuchung als besonders ertragreich erwiesen.
Die exemplarische Analyse politischer Deutungskämpfe ergab darüber hinaus, dass diese drei Deutungsmuster in Frankreich wie in Deutschland als diskursive Scharniere die heroische mit der politischen Kommunikation verbanden. Qualitativ offenbarten sich zahlreiche Übergangsphänomene in der Übersetzung von heroischem in politisches Kapital. Doch verdeutlichte der Blick auf die Wirkungsreichweite, die Instanzen, die Akteure und die Verehrergemeinschaften, dass Hindenburg nicht nur während des Weltkrieges in einem deutlich höheren Maße zum Ziel heroisierender Zuschreibungen wurde. Auch als politischer Akteur polarisierte er die Weimarer Gesellschaft durch seine öffentlichen Auftritte und seine Kandidatur erheblich stärker als Pétain vor 1940. Hier zeigten sich die Auswirkungen der unterschiedlichen Erfahrungen von Niederlage, Revolution und bürgerkriegsartiger Gewalt auf der deutschen sowie Sieg und vorläufige Bestätigung des republikanischen Modells auf der französischen Seite. Stärkere Symmetrien ergaben sich erst bei einem vergleichenden Blick auf die beiden Akteure in ihrer Funktion als Staatschef. Hier wurde das Quellenkorpus auf Biographien, Massen- und Untergrundpresse sowie auf komplementäres Archivmaterial (bspw. Beleidigungsklagen gegen den Reichspräsidenten, Polizei- und Stimmungsberichte, sogenanntes Propagandamaterial des „Freien Frankreichs“) eingeschränkt, durch das der Erfolg der offiziellen und offiziösen Geschichtspolitik um Hindenburg und Pétain kritisch hinterfragt werden konnte. Mit der Analyse des Deutungsmusters des ‚Verrats‘ wurde zudem Augenmerk auf eine Form der Negation des Heroischen gelegt, die sich als besonders geeignet dafür erwiesen hat, Aushandlungsprozesse und Deutungskämpfe zu entschlüsseln, durch die das zeitgenössische Norm- und Wertgefüge in Deutschland und Frankreich herausgefordert, expliziert und konfiguriert wurde.
Hindenburg und Pétain konnten während des Ersten Weltkriegs integrierende und mobilisierende Funktionen erfüllen, indem sie als heroische Figuren Idealvorstellungen von soldatischen Tugenden, der Nation und Führung verkörperten. Diese Kategorien bargen durch die umfangreiche mentale Mobilisierung der Heimatfronten entlang dieser Deutungslinien zugleich politisches Potenzial, das in den krisenhaften Umbruchsphasen 1918/19 in Deutschland und 1940 in Frankreich kurzfristig systemstabilisierend wirkte. Doch verlor der Kriegsheldenstatus auf längere Sicht sein integrierendes Potenzial im politischen Alltag. Im Gegenteil polarisierte er entlang autokratischer und pluralistisch-demokratischer Ordnungsvorstellungen. Ein Kriegsheld war für viele auf lange Sicht als Staatschef undenkbar. Folglich verschoben sich die an Hindenburg und Pétain herangetragenen heroischen Zuschreibungen weg vom Kriegshelden hin zur patriarchalischen und unifizierenden Führerfigur, die zumindest bei Pétain auch sakrale Dimensionen annahm. Doch blieben auch diese Zuschreibungen gerade angesichts heroischer und politischer Konkurrenten (Charles de Gaulles, Adolf Hitler) prekär und umstritten.
[1] von Hoegen, J. 2007: Der Held von Tannenberg. Genese und Funktion des Hindenburg-Mythos, Köln; Pyta, W. 2004: Paul von Hindenburg als charismatischer Führer der deutschen Nation, in: F. Möller (Hrsg.), Charismatische Führer der deutschen Nation, München, S. 109–147; von der Goltz, A. 2009: Hindenburg. Power, myth, and the rise of the Nazis, Oxford; Fischer, D. 2002: Le mythe Pétain, Paris.