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Teilprojekt D2


Ritter, Herrscher, Helden. Heroische Deutungsmodelle kriegführender Eliten im europäischen Hochmittelalter

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Birgit Studt, Prof. Dr. Jürgen Dendorfer; Mitarbeiter: Thomas Nitschke, Thilo Tress

 

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Ausgehend von der Beobachtung, dass in der Historiographie des 11. und 12. Jahrhunderts in bisher ungekanntem Ausmaß kriegerische Taten, Ritter sowie kriegführende Fürsten und Könige als Helden inszeniert werden, untersuchte das Teilprojekt die Präfigurate, die Ausgestaltung und soziale Wirksamkeit von Heroisierungen für den sich formierenden europäischen Kriegeradel. Aus der Perspektive der ritterlich-höfischen Kultur des Spätmittelalters stellte sich die Frage, ob die bisherigen Annahmen der Forschung über Modelle des Heroischen im Hochmittelalter, die kriegführende Eliten leiteten, noch tragfähig sind. Bisher wird dazu fast ausschließlich auf den ‚Ritter‘ als spezifisch mittelalterliches Gruppenideal für die Heroisierung von Kriegern verwiesen. Inwieweit dieses stark aus volkssprachlichen Quellen entwickelte Idealbild tatsächlich Handeln strukturierte und welche alternativen Modelle der Zuschreibung des Heroischen es für Kämpfende gab, ist kaum untersucht worden. Dafür galt es, ein eigenes Quellenkorpus zu erschließen und systematisch für Heroisierungsstrategien kriegführender Eliten des 12. Jahrhunderts auszuwerten. Unter transkultureller Perspektive sind in zwei Unterprojekten heroische Figurationen aus dem Reich nördlich der Alpen und den oberitalienischen Kommunen (Unterprojekt B) sowie aus den kulturell hybriden Gesellschaften des lateinisch, langobardisch und arabisch geprägten Unteritalien und Sizilien (Unterprojekt A) in den Blick genommen worden.

Dabei ergaben sich ausgehend von den Leitfragen des SFB in der zweiten Antragsphase folgende gemeinsame Fragestellungen: 1.) Welche Rolle spielten Heroisierungen und Deheroisierungen für (kulturelle) Grenzziehungen, etwa zwischen „normannischen“ Eroberern und Unterworfenen oder zwischen nordalpinen „Rittern“ und italienischen Städtern? 2.) Inwiefern korrespondieren heroische Krieger- mit Herrscherdarstellungen oder stehen sie mit diesen in einem Konkurrenz- und ggf. Ablösungsverhältnis? 3.) Welche Rolle spielen Heroisierungen des Herrschers – sowohl als Herrscher wie auch als (früherer oder auch nach wie vor dazu befähigter) Krieger – als Vehikel für die Kommunikation zwischen Herrschern und Beherrschten? Abseits „aktiver“ Propagierung eines Bildes stellt sich hier auch die Frage nach „passiver“ Abbildung von geläufigen Idealtypen und Vorstellungen auf die Herrscherfigur. 4.) Wie ist die zunehmende Popularität heroisierender Darstellungen von eigenhändigen Gewalttaten (des Herrschers) – auch von Christen gegen andere Christen – zu bewerten, die doch in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu seit dem Frühmittelalter wirksamen Herrscheridealen, die vor allem an der imitatio Christi ausgerichtet waren, steht? Welche Rolle spielte hierbei die literarische Form als Gesta oder klassisch gewandetes Epos?

Im Rahmen des Arbeitsvorhabens „Transformation von Heldenbildern in der normannischen Peripherie Europas (11./12. Jh.)“ (Birgit Studt, Mittelalterliche Geschichte) stellte sich zunächst die Frage, wie die Heroisierung der normannischen Eroberer in der zeitnah dazu entstandenen süditalienischen Chronistik zur literarischen Grenzziehung zwischen Einheimischen und Eroberern und hier näherhin zu einer möglicherweise „mitgebrachten“ normannischen Identität beigetragen haben mag. Diesbezüglich lassen sich zwei signifikante Ergebnisse der Untersuchung zusammenfassen:

1.) Heroisierungen von Kriegstaten stellen zwar sehr wohl ein bevorzugtes Mittel der Unterscheidung von Eroberern und Eroberten dar, ziehen aber keine unumstößlichen oder auch nur konsequenten Grenzen. Heroisierungen und entgegengesetzte Deheroisierungen erscheinen vielmehr situativ divers und können ganz verschiedene Gruppen auf unterschiedlichen Differenzierungsebenen treffen. Die durch solche Heroisierungen bewirkten Grenzziehungsprozesse sind vielfältig und beschränken sich keineswegs darauf, lediglich eine Binäropposition zwischen Eroberern und Einheimischen zu stiften. Sie können vielmehr zur Demarkation kultureller Unterschiede, politischer Loyalitäten, ja sogar von sozialhierarchischen Rangunterschieden dienen.

2.) Aus demselben Grund gestaltet es sich schwierig, die süditalienische Chronistik vor dem Hintergrund einer normannischen Identität zu betrachten. Zwar lässt sich eine generelle Affinität der süditalienischen Texte mit der historiographischen Eigentradition der Normandie erkennen, doch besitzen diese Elemente vergleichsweise geringen Stellenwert. Augenscheinlicher ist stattdessen eine Heroisierungsebene, die vor allem auf antike Modelle und Präfigurate zurückgreift und insofern ein Repertoire ausschöpft, dass zu dieser Zeit nicht nur in der Normandie zur Verfügung stand, sondern raum- und kulturübergreifend sowohl lateinischen wie griechisch-byzantinischen und auch arabisch­sprachigen potenziellen Rezipienten der Werke bekannt gewesen sein dürfte.

Ein zweiter Arbeitsschwerpunkt lag auf der Umformung und Inkorporation von kriegerischen Heldendarstellungen in ein Herrscherideal, das insbesondere vor dem Hintergrund des entstehenden Königreichs Sizilien seit jeher große Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Die Chronistik entwirft nicht nur Kriegerheroisierungen aus einem Repertoire, das eben genauso eklektisch wirkt wie die spätere Herrschafts­repräsentation. Vielmehr setzt sich die Tendenz zu literarischen, breite Rezipientenkreise ansprechenden Stilisierung in Bezug auf die Umformung der Eroberer- zu Herrscherfiguren konsequent fort: Es wird ein Herrscherbild auf maßgeblich antiker, ja konkret-figürlicher Grundlage geschaffen, das damit heroische Züge gewinnt. So tritt etwa Graf Roger von Sizilien als figürliche Manifestation klassisch-römischer Tugenden des imperator in Erscheinung, wobei etwa gezielt auf die Figur Caesars rekurriert wird, die eine wichtige Rolle im kulturellen Gedächtnis der Publika hatte.

Die in der süditalienischen Chronistik der normannischen Eroberungszeit entworfenen Heldenbilder können somit vor allem als Reflex der kulturell und politisch hochgradig zersplitterten süditalienischen Landschaft des 11. Jahrhunderts verstanden werden. Eine plausible Deutung ist, dass die Autoren auf diese Weise eine Inszenierung der Eroberung, ihrer Protagonisten und schließlich der aus ihr hervorgehenden Herrscherfiguren produzierten, welche die Herrscher aus dem Haus Hauteville - die späteren sizilischen Könige - sich alsbald gern zu eigen machten.

In Unterprojekt B „Ritter – Söldner – Räuber? – Transformationen heroischer Deutungsmodelle kriegführender Eliten im Hochmittelalter“ (Jürgen Dendorfer, Mittelalterliche Geschichte) stand die heroisierende Darstellung Friedrich Barbarossas und seines Gefolges im Rahmen der Italienzüge im Mittelpunkt. In Bezug auf die obigen Fragestellungen ergaben sich dabei folgende Präzisierungen und Ergebnisse: 1.) Die Italienzüge Friedrich Barbarossas ereigneten sich vor dem Hintergrund umfassender sozialer und kultureller Veränderungen sowohl im Reich nördlich der Alpen als auch in Norditalien, wie einer ersten Blüte der „ritterlich-höfischen Kultur“, dem Aufstieg der Kommunen in Norditalien und einer zunehmenden Verrechtlichung sozialer Bindungen, etwa durch das Lehnswesen. Hinzu kam eine zunehmende Ökonomisierung und Technisierung des Kriegswesens, die sich etwa im verstärkten Einsatz von Söldnern und Belagerungsingenieuren oder auch dem Einsatz städtischer Milizen äußerte. In der Forschung wurden Gewaltexzesse während der Italienzüge teils mit der „Illegitimität“ derartiger Kombattanten in den Augen der nordalpinen Ritter erklärt. Es erschien demnach naheliegend, die Heroisierungen und Deheroisierungen in der Historiographie und Epik nach derartigen Grenzziehungen zu untersuchen. Während in nordalpinen Quellen durchaus Gegenüberstellungen von (adligen) milites und gegen die (nordalpinen) Konventionen bewaffneten Städtern vorkamen, waren diese jedoch selten und erstreckten sich gerade nicht auf die Darstellung konkreter Kampfhandlungen. Auch bezüglich der Kampfesweise ließ sich keine prinzipielle Unterscheidung „heroischer“ und „feiger“ Taktiken erkennen. Stattdessen erschienen prinzipiell alle zum Erfolg führenden Taktiken heroisier- und viele Grausamkeiten entschuldbar, sofern sie von der eigenen Seite begangen wurden, während Gegner bevorzugt ebenfalls als tapfer beschrieben wurden, um die eigenen Taten noch bewundernswerter erscheinen zu lassen. Spezifisch kommunale „Gegenhelden“ konnten nicht identifiziert werden. Stattdessen schien die Darstellung der kommunalen Quellen stärker auf Barbarossa zugeschnitten zu sein als die der nordalpinen Quellen, in denen dem heroischen Kaiser eine größere Gruppe heroischer Großer – und gelegentlich einfacher milites – zur Seite gestellt wurde.

2.) Die jüngere militärgeschichtliche Mediävistik hat herausgearbeitet, dass zwar im gesamten Mittelalter vom Herrscher als oberstem Kriegsherr ein hohes Maß an Gewaltkompetenz erwartet wurde, die konkrete Rollenzuweisung – und damit potenzielle Heroisierung – als „Kriegsherr“, „Feldherr“ oder „Krieger“ jedoch starken Wandlungen unterworfen war. In Bezug auf Barbarossa wurde dabei auf die schwierige Vereinbarkeit seiner Rollen als miles und imperator hingewiesen. Die überwiegende Zahl der Quellen scheint jedoch keine Probleme mit der Kombination beider Rollen zu haben. Unterschiede zwischen einem „königlichen“ und einem „kriegeradligen“ Heroismus lassen sich jedoch darin erkennen, dass (junge) Krieger – allerdings nur im Erfolgsfall – für allein um des Ruhmes willen begonnene Scharmützel und Zweikämpfe heroisiert wurden, während der Kaiser nur in „kriegsentscheidenden“ Gefechten als Krieger auftrat. Wenn er jedoch selbst als Krieger agierte, überragte der Kaiser alle seine Gefolgsleute an Tapferkeit und fungierte so als inspirierendes Beispiel.

3.) Die jüngere Forschung betont die konzeptuellen Unterschiede zwischen einzelnen, früher der „Hofhistoriographie“ zugerechneten Werken, und den in Urkunden greifbaren Herrschaftskonzepten. Dies ließ sich auch an der Heterogenität der Heroisierungen beobachten. Dabei waren die Unterschiede zwischen nordalpinen und italienischen Quellen größer als jene zwischen pro- und antistaufischen Quellen. In den nordalpinen Quellen spielte insbesondere Karl der Große als Erinnerungsort und Vorbild für Barbarossa eine wichtige Rolle und trat somit neben antike und christliche Präfigurate. Eine gemeinsame – vom Hof ausgehende – politische Agenda fand sich jedoch nicht, ebenso wenig wie ein Konzept von „Rittertum“, das über allgemeine Vorstellungen von Tapferkeit, Treue und Ehre hinausging. Italienische Quellen bezogen sich dagegen bei der Charakterisierung des Kaisers stärker auf sein konkretes politisches Agieren gegenüber den Städten. Der Kaiser wurde dabei – je nach Position der Stadt – entweder als gottgesandter Retter inszeniert oder als Tyrann dämonisiert.

4.) In den untersuchten Werken konnte eine hohe Heterogenität in Bezug auf heroisierte Gewalt und von Helden begangene Gewalttaten festgestellt werden. Neben explizit heroisierter Gewalt fanden sich vereinzelt Rechtfertigungen. Überwiegend wurde von exzessiven Gewalttaten jedoch neutral berichtet. Ein eindeutiger Zusammenhang zwischen (positiver) Gewaltdarstellung und literarischem Genre konnte nicht identifiziert werden, auch wenn das Epos zu eingehender Darstellung neigt. Stattdessen schien sowohl in der klassischen Historiographie als auch in der Epik des 12. Jahrhunderts die Darstellung exzessiver, vom Helden ausgehender Gewalt, tendenziell weniger problematisch gewesen zu sein als im Frühmittelalter.

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