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Teilprojekt D15


Das Heroische in britischen Fernsehserien des 21. Jahrhunderts: Diskurse und ästhetische Strategien in einem populären Medium

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Barbara Korte, PD Dr. Nicole Falkenhayner; Mitarbeiterin: Maria Xenia Hardt

 

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Das in den British Cultural Studies verortete Teilprojekt ging von der Annahme aus, dass Vorstellungen über das Heroische in erheblichem Maß über populäre Darstellungen verbreitet, geprägt und verhandelt werden. Der Konnex zwischen kultureller Produktion und gesellschaftlichen Diskursen ermöglicht Aufschlüsse über verbreitete Vorstellungen des Heroischen und Erkenntnisse zu seinen kulturellen und sozialen Funktionen. Untersucht wurde diese These für die britische Kultur des 21. Jahrhunderts, und zwar anhand fiktionaler Fernsehserien, die eine neue Prominenz des Heroischen in der britischen Gegenwartskultur sehr deutlich reflektieren. Trotz des Wandels bei Produktions- und Rezeptionsweisen bleibt das Fernsehen ein in den Alltag seiner Zuschauer eingebettetes Medium, und es erfüllt weiter die Funktion, gesellschaftliche Entwicklungen zu kommentieren und auf kollektive Gestimmtheiten zu reagieren. Da diese Funktion im konventionell ausgestrahlten Fernsehen besonders ausgeprägt ist, konzentrierte sich das Teilprojekt in seiner Materialbasis auf Serien, die zwischen 2001 und 2018 in Großbritannien produziert und vor allem von der BBC, aber auch von anderen nationalen Anstalten (ITV, E4 und Sky) im Abendprogramm gesendet wurden. Für die Auswertung war die Annahme leitend, dass zeitgenössische Serien nicht nur aufgrund ihres Umfangs, sondern auch aufgrund der Komplexität ihrer seriellen Erzählweisen die heterogenen zeitgenössischen Vorstellungen von Helden und heroischem Handeln differenziert darstellen und zur Reflexion darüber anregen. Gleichzeitig hat das ‚cinematische‘ Fernsehen der Gegenwart neue ästhetische Möglichkeiten für eine überhöhende Darstellung des Heroischen. Die untersuchten Fernsehserien eigneten sich deshalb auch für eine kritische Überprüfung der Postheroismus-These, die häufig für die Gegenwart postuliert wird.

Das Teilprojekt war in zwei miteinander verflochtene Untersuchungen gegliedert: eine Querschnittsuntersuchung und eine Längsschnittuntersuchung in Form eines Dissertationsprojektes.

(1) Die Querschnittsuntersuchung „Heroes in Contemporary British Culture: Television Drama and Reflections of a Nation in Change“ (Barbara Korte, Nicole Falkenhayner) konzentrierte sich auf Serien des 21. Jahrhunderts und befragte diese in kontextualisierten und theoriegeleiteten Close Readings auf Heterogenität bei der Darstellung und Verhandlung des Heroischen. Dabei erfolgte eine Gruppierung der Serien nach (TV-)Genres, da diese trotz deutlicher Hybridisierungstendenzen weiterhin für die Produktion und Rezeption von Fernsehen maßgeblich sind. Diese Ordnung des Materials erleichterte eine vergleichende Analyse der Serien, sie hat aber auch, noch stärker als angenommen, herausgestellt, dass Generizität die inhaltliche und ästhetische Profilierung des Heroischen maßgeblich mitbestimmt. In dieser Teiluntersuchung wurden insgesamt 19 Programme untersucht, darunter historische Epen, Militärserien, Detektivserien, Spionageserien sowie Science-Fiction und Fantasy-Serien.

(2) Das Dissertationsprojekt „Heroism in Doctor Who“ (Maria Xenia Hardt) analysierte die langlebige Science Fiction-Serie Doctor Who von ihren Anfängen (1963) bis zur Gegenwart und konzentrierte sich dabei auf Transformationen, die in Bezug auf Heroisierungspraktiken und Vorstellungen des Heroischen zu beobachten sind: in Hinblick auf gesellschaftliche Kontexte, aber auch bei der Gestaltung der Titelfigur, die immer wieder neue Inkarnationen eingeht und von unterschiedlichen Schauspielern verkörpert wird. Da aufgrund des Kultstatus der Serie viele Zeugnisse aus den frühen Phasen der Serie archiviert wurden, konnte in diesem Teil des Teilprojekts auch die Rezeption einer Serie in Hinblick auf Wahrnehmungen heroischer Aspekte systematisch einbezogen werden. Anhand von Doctor Who ließen sich zudem Konsequenzen des Wandels im Medium Fernsehen und seiner technischen und ästhetischen Möglichkeiten für die Darstellung des Heroischen nachvollziehen. Die Serie spiegelt die wesentlichen Veränderungen und Umbrüche in der britischen Gesellschaft wider, die sich auf die Heroisierung und grundsätzliche Heroisierbarkeit von Figuren auswirkten. Vor allem konnte die Dissertation nachweisen, dass mit dem 21. Jahrhundert, und speziell nach dem Einschnitt der Anschläge des 11. September 2001, tatsächlich ein gestiegenes Interesse am Heroischen und eine Intensivierung seiner Darstellung auch in der britischen Kultur anzunehmen ist: Die Titelfigur von Doctor Who war ursprünglich nicht heroisch figuriert und lässt erkennen, dass das 20. Jahrhundert eine heldenskeptische Tendenz hatte. In der Neuauflage der Serie ab 2005 hat sich Doctor Who aber zu einer heroisierten Figur gewandelt, so wie auch die ganze Serie sich intensiv mit Diskursen und Darstellungskonventionen des Heroischen auseinandersetzt.

Zusammen bieten die Teiluntersuchungen einen Einblick in die Dynamik von heterogenen Vorstellungen des Heroischen (zwischen Serien, aber oft auch innerhalb einer Serie) und übergreifenden Tendenzen. Das Teilprojekt konnten zeigen, wie bei der Darstellung des Heroischen in Fernsehserien mediale Voraussetzungen, ästhetische Formung und diskursive Verhandlungen ineinandergreifen und im 21. Jahrhundert zu einer neuen Fülle an heroisierenden Darstellungen führen. Narrationen, Figurenkonzeptionen und televisuelle Ästhetiken werden in unterschiedlichen Konstellationen zu gesellschaftlichen Figurationen des Heroischen in Beziehung gesetzt.

Unabhängig von Fernsehgenres belegen die Analysen des Teilprojekts, dass in der britischen (Fernseh-)Kultur des 21. Jahrhunderts ein Bestreben zu demokratisierter, sozial breit gestreuter Heroisierung zu beobachten ist (auch bedingt durch auf Diversität ausgerichtete Produktionscodes der Fernsehanstalten). Helden und Antihelden sind nicht (mehr) nur weiße Männer. Besonders deutlich zeigte sich dies in der Analyse von Doctor Who: Waren Frauenfiguren hier bis weit in die 1980er Jahre nur als Begleitfiguren des Protagonisten zu sehen und kaum mit heroischem Potential ausgestattet, änderte sich dies seit der Wiederaufnahme der Serie 2005 und kulminierte 2017 in der Inauguration der ersten weiblichen Titelfigur. Stärker heroisiert werden auch Figuren nichtweißer Ethnien und der Working Class, wobei diese Tendenzen Grenzen zu haben scheinen.

Abgezeichnet hat sich eine leichte Akzentverschiebung zwischen dem ersten und dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts: einige der neuesten Serien (insbesondere The Last Kingdom, Bodyguard) scheinen, ohne dem Heroischen gegenüber völlig unkritisch zu sein, ein Bedürfnis nach starker heroischer Agency zu artikulieren; dies mag eine Reaktion sein auf eine kollektive Gestimmtheit, die ihre Ursachen in der Unfähigkeit hat, die Probleme und Krisen Großbritanniens seit Antritt der konservativen Regierung 2010 in den Griff zu bekommen; allerdings ist dies eine These, die durch weitere Untersuchungen abgesichert werden muss.

Ein überraschend deutliches Ergebnis des Teilprojekts ist, wie explizit, und teils meta-heroisch, sich viele der untersuchten Serien mit dem Heroischen auseinandersetzen, nicht zuletzt auch Serien, die ein jüngeres Publikum ansprechen (Robin Hood, Merlin, Misfits). Viele Serien thematisieren und debattieren Vorstellungen über das Heroische in ihrem Dialog, und ihre Erzählungen sowie ihr Einsatz televisueller Darstellungsmittel gehen selbstreflexiv, ironisch und spielerisch mit Konventionen heroischer Darstellung um. Heroisierungen in britischen Fernsehserien der Gegenwart sind also fast nie naiv oder eingleisig, sondern kommentieren die eigene Konstruktion und die eigene Konstruiertheit. In Hinblick auf ‚Postheroismus‘ kommt das Teilprojekt somit zu dem Schluss, dass sich dieses Konzept für die britische Gegenwartskultur dann sinnvoll anwenden lässt, wenn man es auf einen distanziert-reflektierten Umgang mit dem Heroischen bezieht, und auf ein Nebeneinander heroisierender und heldenkritischer Elemente. In den untersuchten Serien ist das Heroische ausgesprochen präsent, aber es wird differenziert dargestellt und oft kritisch reflektiert.

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