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Teilprojekt C1

Zwischen Fürstendienst und ritterlicher Selbstbehauptung. Heroismus als adlige Gruppenkultur im deutschen und französischen Spätmittelalter

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Birgit Studt; Mitarbeiter: Dr. Gero Schreier
 
Projektdauer: 2012-2016 Bericht als PDF


Am Ausgangspunkt des Teilprojekts stand die Beobachtung, dass in der spätmittelalterlichen Auseinandersetzung zwischen sich verdichtender Fürstenmacht auf der einen, niederadligen Versuchen der Selbstbehauptung auf der anderen Seite konkurrierende Heldenmodellierungen erkennbar sind, die auf ihre spezifischen Resonanzräume und Mobilisierungsleistungen für die jeweiligen adligen Milieus zu befragen waren.

Das Dissertationsprojekt nahm die niederadlige Perspektive in den Blick. Die Ausgangsfragestellung zielte darauf ab, die weitgehend separat laufenden Diskussionen zur literarischen Präsentation ritterlichen Imaginariums einerseits1 und zur sozialgeschichtlichen Situation des niederen Adels andererseits2 im Sinne des Paradigmas der ritterlich-höfischen Kultur3 aufeinander zu beziehen. Ziel war es, sowohl die Konstruktion von ritterlichen Heldenmodellierungen als auch deren Funktion für den „Adel im Wandel“4 zu beleuchten. Der Schwerpunkt der Fragestellung lag auf Heroismen, das heißt einem heroischen Habitualprofil, das die historische Praxis von Akteuren bestimmt hat. Die Arbeit sollte anfangs diese Heroismen und die literarische Konstruktion von Ritterhelden parallel behandeln, indem zum einen auf die Analyse von Praktiken gezielt wurde (Turniere, Schaukämpfe, Kriegszüge), wie sie in erster Linie aus historiographischen und dokumentarischen Texten zu erschließen sind5, zum anderen auf die literarischen Modellierungen in einem Korpus von oftmals panegyrisch angelegten „ritterlichen Biographien“6 über historisch belegte Niederadlige des Spätmittelalters. Die gezielt komparative Untersuchung von deutschen und – besonders reich überlieferten – französischen Beispielen sollte die Fixierung eines Großteils der bisherigen Forschung auf jeweils einen der beiden Räume aufbrechen, um die Geltungsreichweite von Heroisierungen und Heroismen als kulturelle Muster für den europäischen Adel anhand zweier exemplarischer Adels-‚Landschaften‘ einschätzen zu können.

Ergänzend wurde der Heroendiskurs am burgundischen Hof und die Aushandlung von Wertvorstellungen in der politischen Kommunikation zwischen Fürst und burgundischem Hofadel untersucht. Ausgangsfrage war, welchen Personen bzw. Gruppen es in besonderer Weise gelang, heroische Selbstdeutungsmuster für sich zu vereinnahmen. Ziel dieser ergänzenden Untersuchung war es, konkurrierende Heroismen am Fürstenhof und im Milieu des nichtfürstlichen Adels schärfer zu konturieren.

Das Dissertationsprojekt hat erkennen lassen, dass niederadlige Heldenkonstruktionen sich aus einer ritterlich-heroischen Tradition speisen, die gerade im Spätmittelalter zwischen verschiedenen Interessengruppen verhandelt wird und noch in der frühen Neuzeit leitend für adlige Selbstdarstellung ist. Im Interesse der Fürsten wird auf Unterordnung heroischen Verhaltens unter das Gemeinwohl gepocht, während der Niederadel heroische Tradition und Fürstendienst durchaus selbstbewusst zu verbinden sucht. Im Falle des burgundischen Hofes wurde die Aushandlung von heroischen Werten entscheidend durch den fürstlichen Hof dominiert, indem die Figur des Fürsten als ideale Verkörperung überzeitlicher ritterlich-adliger Werte inszeniert wurde. Gegenüber dem vermuteten Spannungsfeld zwischen Fürstenhof und Adel spielten auch Aushandlungsprozesse in den flandrischen Städten eine wichtige Rolle, die als Bühnen der herzoglichen Imagepolitik dienten.7 Gegenüber der in der kunsthistorischen Literatur betonten Vielfalt von Inszenierungen und Medialisierungen8 lässt sich eine gezielte Ausdifferenzierung des Repertoires an heroischen Vorbildern nachweisen, die sich an den politischen Zielen des Fürsten orientierte. Erste Ergebnisse dieser Forschungen wurden in einem Beitrag der Projektleiterin zur Ringvorlesung des SFB „Vom Weihegefäß zur Drohne – Objekte des Heroischen“ und dann in erweiterter Form im Dezember 2014 in einem englischsprachigen Vortrag im DHI London zur Diskussion gestellt. Im Mittelpunkt stand dabei die Ablösung des Heroismus als adliger Gruppenkultur, repräsentiert im Mythos und der visuellen Politik des Ordens vom Goldenen Vlies, durch die Herrscherheroisierung nach antikem Muster, die verschiedenen Formen, Ebenen und Reichweiten ihrer Medialisierung, und die Aushandlung ihrer Aufführung in den flandrischen Städten, die sich in einem imaginären Dialog zwischen Herrscher und städtischen Eliten vollzog.

Resonanzraum ritterlich-adligen Heldentums war auf lange Sicht die adlige Familie.  Heldenmemoria diente ihrer Kohäsion und Traditionsbildung; diese identitätsstiftende Praxis wurde über einen langen Zeitraum und über soziale und politische Brüche hinweg aufrechterhalten. Daneben, zum Teil komplementär, kommen politische Interessengruppen (der Reichsfreiheit anstrebende oder sie bereits genießende deutsche Adel des 15. und 16. Jahrhunderts) oder kurzlebigere soziale Milieus in Betracht („société militaire“9 im Frankreich des ausgehenden 14. Jahrhunderts).

Heroische Habitusmuster sind schwerer nachzuweisen als gedacht, da die fraglichen Lebenszeugnisse vorweg nur den Blick auf Konstruktionen und Modellierungen, nicht auf tatsächliches Verhalten freigeben. Daher wurde eine Diskursgeschichte ritterlichen Heldentums vermittels einer eindringlichen Lektüre (close reading) von Traktaten, Historiographie und Biographien herausgearbeitet und zentrale Paradigmata des Sprechens über niederadlige Ritterhelden aufgezeigt. Anhand exemplarischer Detailstudien zu performativen Heroisierungen und zu Textgenesen der besprochenen Biographien konnte die soziale Reichweite im Blick auf die jeweiligen Akteure genauer abgesteckt werden. Die Text-Genese von Adam Reißners Frundsberg-Historia ist anhand gedruckter Quellen exemplarisch erhellt und zum sozialen Kontext der Frundsberg-Heroisierung in Beziehung gesetzt worden. Die inhaltliche Problematik, die auch die Biographie des Jean le Meingre (gen. Boucicaut) behandelt – Rittertum zwischen heroischer Tradition und reformerischem Diskurs –, wurde ausführlich im Kontext der anderen Materialien bearbeitet.

Eine Skizze des Dissertationsvorhabens konnte auf einer Nachwuchstagung des historischen Seminars der Universität Mannheim („Helden über Grenzen? Transnationale(s) Mythen und Heldentum von der Antike bis zur Moderne“, September 2013) vorgestellt werden. Die Anregungen der inhaltlich breit aufgestellten Tagung führten zu einer erneuten Formulierung der Problematik im Zusammenhang mit den Überlegungen des Berliner Sonderforschungsbereiches 644 („Transformationen der Antike“) und den an der dortigen Humboldt-Universität betriebenen Forschungen zu dem auch für diese Arbeit zentralen kulturellen Muster der Agonalität im Spätmittelalter (Forschungskolloquium von Prof. Dr. Johannes Helmrath, Sommersemester 2014). Die Forschungen des Teilprojektes erwiesen sich darüber hinaus als interessant für die Forschergruppe „Spiele und Wettkämpfe in der mittelalterlichen Soziabilität“ (Dr. Vanina Kopp, Paris): Auf einem Workshop im März 2015 und in einer Sommerschule zum Thema „Spiele und Machtspiele in der Vormoderne“ im Juni 2015 konnten die Überlegungen des Vorhabens im (für das Forschungsfeld zentralen) Deutschen Historischen Institut in Paris vorgestellt und diskutiert werden. Insbesondere das Paradigma der Gruppenkulturen, von Agonalität, der symbolischen Aushandlung von Männlichkeitsmodellen und politischen Botschaften erwies sich dabei als wichtige Schnittfläche.
 

1 Kerth, S. 2002: Die letzten taflrunder? Krieg in adligen Autobiographien des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Brunner, Horst, u.a., Dulce bellum inexpertis. Bilder des Krieges in der deutschsprachigen Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts, Wiesbaden, S. 175–245; Gaucher, E. 1994: La biographie chevaleresque. Typologie d'un genre (XIIIe–XVe siècle), Paris.
2 Rabeler, S. 2006: Niederadlige Lebensformen im späten Mittelalter. Wilwolt von Schaumberg (um 1450–1510) und Ludwig von Eyb d. J. (1450–1521), Neustadt a. d.  Aisch; Schneider, J. 2003: Spätmittelalterlicher deutscher Niederadel: ein landschaftlicher Vergleich, Stuttgart; Contamine, P. 1997: La noblesse au royaume de France de Philippe le Bel à Louis XII. Essai de synthèse, Paris; Lalande, D. 1988: Jean II le Meingre, dit Boucicaut (1366–1421). Étude d'une biographie héroïque, Genf.
3 Paravicini, W. 2011: Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters, 3. erw. Aufl., München.
4 Sablonier, R. 2000: Adel im Wandel. Eine Untersuchung zur sozialen Situation des ostschweizerischen Adels um 1300, Zürich (zuerst 1979).
5 Hierzu vorbildlich Lalande, D. 1988: Jean II le Meingre, dit Boucicaut (1366–1421). Étude d'une biographie héroïque, Genf. Siehe auch Rabeler, S. 2006: Niederadlige Lebensformen im späten Mittelalter. Wilwolt von Schaumberg (um 1450–1510) und Ludwig von Eyb d. J. (1450–1521), Neustadt a. d.  Aisch.
6 Gaucher, E. 1994: La biographie chevaleresque. Typologie d'un genre (XIIIe–XVe siècle), Paris.
7 Lecuppre-Desjardin, E. 2004:  La ville des cérémonies: essai sur la communication politique dans les anciens Pays-Bas bourguignons, Turnhout.
8 Z. B.: Franke, B. / Welzel, B. 1997: Die Kunst der burgundischen Niederlande: eine Einführung, Berlin.
9 Contamine, P. 1972: Guerre, état et société à la fin du moyen âge. Etudes sur les armées des rois de France, 1337–1494, Paris.

 

Publikationen des Teilprojekts

  • Schreier, G. 2017: Georg von Ehingen (1428–1508). Fahrender Ritter und Fürstenrat, in:  Momente. Beiträge zur Landeskunde von Baden-Württemberg 2.
  • Schreier, G. [vorauss. 2017]: Ritterhelden. Konstruktionen adliger Exzellenz und ihre Kontexte im deutschen und französischen Spätmittelalter, Mittelalter-Forschungen, Ostfildern (in Vorbereitung).
  • Schreier, G. 2016: Chivalric Heroism, Gender, and Politics: Some Observations on Chivalric Culture in the Late Middle Ages, in: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 4.2, S. 33–40, DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2016/02/04.
  • Schreier, G. 2015: Mittelalter, in: R. von den Hoff / R. G. Asch / A. Aurnhammer [et al.] (Hrsg.), Das Heroische in der neueren kulturhistorischen Forschung: Ein kritischer Bericht, H-Soz-Kult, 28.07.2015, S. 28–36, http://www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-2216.
  • Studt, B. 2016: Die Ambiguität des Helden im adligen Tugend- und Wertediskurs, in: C. Witthöft / O. Auge (Hrsg.), Ambiguität im Mittelalter. Formen zeitgenössischer Reflexion und wissenschaftlicher Rezeption, (Tagung Alfried Krupp Wissenschaftskolleg, Greifswald, 11.–13. April 2013), S. 305–314.
  • Studt, B. [vorauss. 2017]: Helden schreiben. Heroisches Rittertum im Entwurf adliger Lebensbeschreibungen des Spätmittelalters, in: P. Elbel / A. Kaar / R. Novotný (Hrsg.), Zwischen Feinden und Freunden. Kommunikation im spätmittelalterlichen Krieg, Wien/Köln/Weimar (in Vorbereitung).
  • Studt, B. 2015: Lorbeer, Vlies und Feuerstrahl. Antikenrezeption als Herrscherheroisierung – Die Bildpolitik der Herzöge von Burgund, in: A. Aurnhammer / U. Bröckling (Hrsg.), Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte (Helden – Heroisierungen – Heroismen 4), Würzburg, S. 85–104.
  • Studt, B. 2015: Gründungsheroen, Ahnenreihen und historische Topographien. Genealogische Narrative und konkurrierende Formen politischer Raumbildung in den Geschichten von den Fürsten in Bayern, in: C. Andenna / G. Melville (Hrsg.), Idoneität – Genealogie – Legitimation: Begründung und Akzeptanz von dynastischer Herrschaft im Mittelalter, Köln, S. 387–406.

 

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