Zurück zur Startseite

Teilprojekt D5


Soldatische Leitbilder und heroische Selbstdarstellung in militärischen Selbstzeugnissen vom Siebenjährigen Krieg bis zu den Befreiungskriegen

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Ronald G. Asch; Mitarbeiterin: Kelly Minelli

 

Bericht als PDF


Ziel des Teilprojekts war die Untersuchung von Heldenbildern und heroischer Selbstdarstellung in militärischen Selbstzeugnissen vom Siebenjährigen Kriegs bis zu den Befreiungskriegen sowohl auf deutscher wie auch auf französischer Seite. In der „Sattelzeit“ fanden nicht nur umfangreiche militärische Reformen und Neuerungen in der Kriegsführung statt, die verschiedenen literarischen und philosophischen Strömungen der Aufklärung im 18. Jahrhundert sowie eine zunehmend ideologisierte und radikalisierte Kriegsführung seit der Französischen Revolution hatten auch erheblichen Einfluss auf die Stellung und Leitbilder einfacher Soldaten. Neue militärische Bilder wie der soldat-citoyen bzw. der Bürgersoldat oder der Nationalkrieger (Befreiungskriege) veränderten zudem die Vorstellungen des traditionellen, vornehmlich ritterlich-adelig konnotierten militärischen Heldentums: Die Darstellung als militärischer Held, die zuvor nur den adligen Offizieren vorbehalten gewesen war, wurde im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch für die unteren militärischen Ränge geöffnet. Die im Zuge dieses Wandels veränderten und neu entwickelten militärischen Heldenbilder wurden sowohl von den Regierungen und deren Propaganda als auch von den kulturellen und sozialen Eliten wie dem Bürgertum verbreitet. In Zeitschriften und Liedern wurden sie so den Soldaten zugänglich. Die im Rahmen des Teilprojektes entstandene Dissertation untersuchte diesen Wandel der Heldenbilder genauer und fragte vor allem danach, ob und wie die offiziellen Heldenbilder in den Selbstzeugnissen wiedergegeben wurden.

Das Quellenkorpus wurde mit dem von Volker Depkat vorgeschlagenen text- und kommunikationspragmatischen Zugang zur Selbstzeugnisanalyse durchdrungen. Dabei lag der Fokus auf der Untersuchung von Narrativen und stilistischen Prozessen der Heroisierung, da eine direkte heroische Selbstdarstellung z.B. durch eine eindeutige Benennung der eigenen Person als „Held“ oder „heldenhaft“ relativ selten gegeben war. Da ein Großteil der Memoiren und Autobiographien zum Teil erst Jahrzehnte nach der eigentlichen Kriegsteilnahme entstand, ist die Berücksichtigung des historischen Kontextes der Entstehungszeit der Quellen, insbesondere mit Blick auf die militärische Erinnerungskultur, von besonderer Bedeutung. Zu unterscheiden waren zudem zeitgenössische Selbstzeugnisse, die sich nur an einen kleinen, privaten Adressatenkreis wie Familie, Angehörige und Nachkommen richteten (z.B. Briefen und Tagebüchern) und Selbstzeugnissen, die veröffentlich wurden und dementsprechend ein weit umfangreicheres Publikum erreichten. Die Rolle der Leserschaft, der sogenannten „Interpretationsgemeinschaft“ des Helden, sowie der jeweilige militärische Rang und soziale Status des Militärangehörigen nahmen ebenfalls einen entscheidenden Einfluss auf dessen heroische Selbstdarstellung.

Die Analyse der Heldenbilder in den Selbstzeugnissen stützte sich unter anderem auf die theoretischen Leitideen von Ulrich Bröckling und Tobias Schlechtriemen. Es ließen sich darauf aufbauend diverse Merkmale des Helden entnehmen (Exzeptionalität, Agonalität, Transgression, Opfer, starke Agency), die dabei halfen, die Untersuchung stärker auszurichten. Dies erfolgte in einem Prozess des distant reading, in welchem die in den Selbstzeugnissen enthaltenen Darstellungen anhand dieser Eigenschaften untersucht wurden. Anschließend wurden einzelne einschlägige Quellen während des close reading mit der von Schlechtriemen entwickelten Heuristik der Heroisierung als Grenzziehungsprozess genauer analysiert. In den durch die Autoren der Selbstzeugnisse benutzten narrativen Strukturen und Deutungsmustern (Kampfhandlungen und Gewalt, Individualität vs. Kollektiv, Maskulinität, Leiden und Opferbereitschaft, Patriotismus und Ehre) traten anhand von Grenzziehungsprozessen die heroischen Eigenschaften und damit die heroische Selbstdarstellung der Autoren als Ergebnis in Erscheinung. Dabei wurde deutlich, dass sich das soldatische Leitbild nicht in jedem Punkt mit dem heroischen Leitbild deckte und dass das militärische Heldenbild gerade dann zur Rechtfertigung und Sinnstiftung herangezogen wurde, wenn die soldatischen und militärischen Regeln und Deutungsmuster versagten. Dies erlaubte Soldaten und Offizieren, sich „aus den richtigen Gründen“ gegen Werte- und Normvorstellungen und sogar gegen die militärische Disziplin zu stellen und dies mit der Autorität und der Vorbildfunktion des Heldentums zu legitimieren. Hier wird deutlich, dass das Merkmal der Transgressivität nicht nur eine essenzielle, sondern fast schon notwendige Qualität des militärischen Heldentums ist, da sie im Spannungsverhältnis zu den militärischen Regelungen die heroische Darstellung erst bedingte. Dieses destabilisierende Element des Heldentums konnte nach dem Krieg sogar noch weiter benutzt werden, um von der Obrigkeit angekündigte, aber nicht eingehaltene politische Versprechungen einzufordern. Gerade in der politisch, sozial und kulturell aufsteigenden Schicht des Bürgertums war die Selbstheroisierung ein dominantes Deutungsmuster, um ihre Ansprüche und Machtteilhabe zu legitimieren und zu festigen. Diese Aushandlungen zwischen top-down und bottom-up-Prozessen der militärischen Heroisierung bildete ein zentrales Element von erinnerungskultureller und nationaler Sinnstiftung im Laufe des 19. Jahrhunderts. Dabei hat der deutsch-französische Vergleich gezeigt, dass es sowohl Unterschiede als auch Übernahmen heroische Muster bei der militärischen Darstellung gab. Vor allem im Hinblick auf die Verbindung zwischen Patriotismus und Heldentum: Während der Revolutionskriege schienen sich patriotische Gefühle auf französischer Seite in der Idee der Aufopferung für die patrie und der von ihr vertretenen Werte am stärksten zu manifestieren. Unter Napoleon blieb die Ausrichtung des Patriotismus zwar an der Grande Nation verankert, doch rückte sie auch näher an die Vorstellungen der bedingungslosen Hingabe für den Kaiser – ähnlich wie es im Siebenjährigen Krieg auf preußischer Seite mit Friedrich dem Großen der Fall gewesen ist. Für die deutschen Truppen, die während der napoleonischen Kriege für Frankreich gekämpft haben, war die Annahme von heroisch-patriotischen Darstellungen in Bezug auf den Kaiser und auf Frankreich natürlich viel schwieriger. Zwar überwog auch hier das Narrativ des heroischen Selbstopfers, vor allem während des Russlandfeldzuges, dennoch schien sich dieses Deutungsmuster auf ein allgemeines Gefühl der soldatischen Pflichterfüllung oder, in manchen Fällen, höchstens auf eine sehr regional aufgefasste Vorstellung von Heimat zu konzentrieren. Erst mit den Befreiungskriegen entstanden auf deutscher Seite, vor allem in Preußen, heroische Darstellungsformen, die sich verstärkt auf eine nationaldeutsche und explizit gegen Frankreich gerichtete Interpretation von Patriotismus bezogen. Das Narrativ des Selbstopfers, das seit den Revolutionskriegen ein dominierendes Merkmal der heroisch-militärischen Selbstdarstellung gewesen ist, kam auch hier intensiv zur Geltung. Gerade in Selbstzeugnissen, die nach 1815, vor allem aber nach dem deutsch-französischen Krieg 1871, entstanden bzw. herausgegeben wurden, spielten diese Heldenbilder eine essenzielle Funktion bei der Konstruktion eines fast schon teleologisch zu nennenden deutsch-nationalen Narratives. In französischen Selbstzeugnissen überwogen dagegen nostalgische Blicke auf die militärischen Helden der Grande Armée und der Revolution sowie auf ihre überwältigenden Siege.

Anmeldung
Der interne Bereich finden Sie nun auf der Teamplattform des SFB 948. Hinweise zum Login und zur Bedienung der Teamplattform finden Sie in diesem Dokument.