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Teilprojekt D3


Episches Heldentum in der Frühen Neuzeit: Heroisierungen Kaiser Maximilians I. im lateinischen Epos

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Stefan Tilg; Mitarbeiter: Dennis Pulina

 

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Ausgangspunkt des Projekts war die Frage nach Helden, Heroisierungen und Heroismen im Epos als der heroischen literarischen Form par excellence. Die frühneuzeitliche lateinische Epik, in der Kaiser Maximilian I. als Held auftritt, erwies sich dafür in mehrerer Hinsicht als gutes Beispiel. Zu keiner Zeit wurden mehr Epen geschrieben als im frühneuzeitlichen Europa, in keiner Sprache mehr als in Latein, und es gibt wohl auch keine historische Person, die in ihrer Zeit häufiger als epischer Held auftritt als Maximilian. Im Rahmen seiner als gedechtnus berühmt gewordenen umfassenden Bestrebungen zur Selbstdarstellung in Literatur und Kunst ist Maximilian zu einem Knotenpunkt des frühneuzeitlichen heroischen Diskurses geworden, der auch maßgeblich von der Großform des Epos gespeist wurde.

Das Kerncorpus bildeten die Austrias (1516) Riccardo Bartolinis über den Landshuter Erbfolgekrieg 1504/1505, die Encomiastica (1504) des Giovanni Stefano Emiliano über die Wahl Maximilians zum römisch-deutschen König und die Gefangenschaft in Brügge, der Magnanimus (vor 1519) des Riccardo Sbruglio (eine lateinische Adaptation des deutschen Ritterepos Theuerdank) und das Pronostichon de futuro imperio propagando (1494) des Giovanni Michele Nagonio, das einen fiktiven Romzug Maximilians zur Kaiserkrönung schilderte.

Um in der Maximiliansepik die spezifische Heroisierung des Kaisers und nicht nur die Konventionen epischer Heroisierung in der Frühen Neuzeit herauszuarbeiten, war zunächst eine Beschäftigung mit den lateinischen Epen des italienischen Quattrocento notwendig, die als Vorbilder dienen konnten. Drei Aspekte waren hier leitend:

a) Die Frage nach der Heroisierung mittels Gewalthandeln. Nicht nur aus der Gattungstradition heraus, sondern auch zeitgeschichtlich galt Gewalt als bedeutende Anerkennungsressource und nicht wenige Fürsten des Quattrocento, die auch als Epenhelden auftraten, waren ‚Gewalthändler‘ (condottieri). Bei der eingehenden Analyse hat sich gezeigt, dass Gewalt als Manifestation heroischer Agency auch in frühneuzeitlichen Epen von besonderer Bedeutung war, dass sie allein aber noch keinen epischen Helden ausmachte. Dieser musste insbesondere ein christliches Ethos vertreten, d.h. einerseits im Sinn einer militia Christiana für den Glauben und die Kirche kämpfen, andererseits aber in der Nachfolge Christi leiden und aushalten können sowie mildtätig, barmherzig sein und vergeben können, um damit auch zu einem besseren Helden als Aeneas zu werden, der seinen epischen Kontrahenten Turnus getötet hat.

b) Die Interferenz von Heldentum und Liebe. Liebe spielte eine prominente Rolle im Theuerdank (wie in der lat. Adaptation Magnanimus) und wurde punktuell in einer Reihe anderer Epen berührt, z.B. in einem allegorischen Kampf Maximilians gegen die Venus in der Austrias. Dabei kamen ritterlich-höfische Ideale (wie im Theuerdank) mit Tendenzen der griechisch-römischen Epentradition (z.B. Aeneas-Dido-Episode der Aeneis; Achills Jugendliebe in Statius’ Achilleis) in Berührung und gerieten teilweise in Konflikt.

c) Die Nähe des Helden zu den Göttern. Die Götter bezeugen die Außeralltäglichkeit des Helden, was sich neben göttlichem Schutz, einem göttlichen Plan oder Epiphanien vor allem in Auspizien zeigt.

Vor diesem Hintergrund konnten diejenigen Elemente herausgearbeitet werden, die sich für den Kaiser als typisch erwiesen, etwa die Abstammung von den Trojanern, die Bedeutung des Hercules, die clementia Austriaca, die Heroisierung der Jagd oder die Kontroverse um die Wiedergeburt der Antike in Italien versus das Konzept der translatio imperii.

Zu methodischen Grundlagen der Analysen avancierten neben den aus der ersten Förderphase des Sonderforschungsbereichs hervorgegangenen Theoriekonzepten die für die zweite Förderphase gesetzten Forschungsperspektiven. Für das Teilprojekt waren hier neben der Frage nach Gewalt vor allem das Konzept der Zeitschichten bzw. der Präfiguration und das der Boundary Work zentral:

Den vorhandenen Arbeiten zum Heldentum in antiken Epen liegen durchweg keine methodischen Werkzeuge zugrunde, die eine systematische Analyse von Heroisierungen ermöglichen würden. Es bleibt in aller Regel bei der Auflistung von einzelnen, losgelösten Phänomenen des Heroischen. Aus Einzelbeobachtungen eine gewisse Systematik zu entwickeln, haben z.B. Campbell,[1] Bowra[2] und Miller[3] versucht, die letztlich essenzialistische Kategorien des Heroischen in Bezug auf Abstammung, Aussehen, Attribute o.Ä. entwerfen. Gerade für die Analyse der Heroisierung Maximilians in der aus dem Corpus wegen ihrer Qualität und Bedeutung herausragenden Austrias erwiesen sich jedoch die im Sonderforschungsbereich entwickelten Konzepte eines prozesshaften ‚Grenzgeschehens‘ und eines Heldenkollektivs als zielführender. In der Austrias wird nämlich explizit ein ganzes Heldenkollektiv präsentiert, das an Maximilians Seite kämpft; einzelne Heroisierungsprozesse werden dabei für unterschiedliche Figuren unterschiedlich entwickelt und gewichtet. Ausgehend von diesen Beobachtungen hat das Projekt epische Heroisierungen als doppelten Differenzierungsprozess untersucht, in dem die Protagonisten sowohl von heldischen Gefährten als auch vom (i.d.R. ebenfalls heldischen) Gegner abgegrenzt werden. Es zeigte sich, dass die Grenzziehung Held-Gegnerheld (die in anderen Genres häufige Konstruktion eines bösen Antihelden findet sich höchstens in der Auseinandersetzung mit Unterweltsmächten) nur selten durch kriegerische Fähigkeiten und vielmehr durch Moralität und insbesondere die Verkörperung christlicher Werte hergestellt wird, was dann zu einem Ungleichgewicht der Helden in ihrem Affizierungspotenzial führt. Die Distinktion eines höheren Heldenstatus von einem niedrigeren findet überdies durch Rückgriff auf den antik-paganen Götterapparat sowie durch einen besonderen Platz im großen Schicksalsplan und somit im ideologischen télos eines Epos statt. Die Abgrenzung gegenüber einer unheldischen Masse spielt demgegenüber eine eher geringe Rolle.

Hinsichtlich der Zeitschichten zeigte sich, dass sich das aus der Geschichtswissenschaft stammende Konzept in der Anwendung auf Epik mit den in der Literaturwissenschaft gängigen Konzepten der Intertextualität und der Rezeptionsgeschichte weitgehend überschneidet. Sowohl die für das frühneuzeitliche Epos typische, intensive Rezeption antiker Prätexte als auch die Stilisierung Maximilians als mittelalterlicher Ritter, insbesondere als Turnierkämpfer und vorbildhafter miles Christianus im Kampf gegen die Türken, führen in seiner epischen Darstellung zu hybriden Helden-Elementen. Ein epischer Held der Frühen Neuzeit, der nicht mithilfe antiker Elemente (von Sprache über Motivik bis zu Mythologemen und Werten) stilisiert wäre bzw. diese mit Konventionen der eigenen Zeit und individuellen Innovationen verhandelt, ist undenkbar. Die literarisch-epische Tradition seit Homer (einschließlich der gelegentlichen Anreicherung durch mittelalterliche lateinische und volkssprachliche Epik) wirkt hier als maßgebliches Bezugssystem und als kulturelles Gedächtnis, das Produzenten und Rezipienten teilen. Innerhalb dieses Bezugssystems lassen sich gewisse Aktualisierungsmuster und -tendenzen feststellen (z.B. die auf der Aeneis beruhende Arbeit an der Einbettung des Helden in ein teleologisches Geschichtsmodell oder auch spezifischere Aktualisierungen wie die Heraushebung der clementia), aber eher als von ‚Entwicklungen‘ sollte man hier von individuellen Rückgriffen auf gemeinsame Schreib- und Denkmuster sprechen, die von der Antike bis zum Ende der Frühen Neuzeit erstaunlich konstant bleiben. Das heißt nicht, dass diese Muster unverändert übernommen werden, sie werden praktisch immer aktualisiert und angepasst, doch bleiben sie eben grundsätzlich als Ausgangspunkt – als autorisierende Präfiguranten im Blumenberg’schen Sinn – verbindlich. In diesem theoretischen Rahmen wurden Bezugnahmen auf die epische Tradition (Figuren, Bauformen, intertextuelle Referenzen) im Projekt konsequent als Teil epischer Heroisierungsprozesse erfasst.

Als Ergebnis des Teilprojekts lässt sich insgesamt nicht nur eine genauere Kenntnis der Arbeit der Humanisten an Maximilians Ruhmeswerk und der Rezeptionsgeschichte der Gattung Epos aufführen, vielmehr wurde auch die Anwendbarkeit und Notwendigkeit eines auf Abgrenzungsprozessen verschiedener Figuren beruhenden methodologischen Zugangs für epische Heroisierungen überhaupt demonstriert. Damit hat das Projekt über das Corpus der Maximiliansepik hinaus literatur- und kulturwissenschaftliche Grundlagenarbeit geleistet.



[1] Campbell, J. (Hg.) 1949: The Hero with a Thousand Faces. New York.
[2] Bowra, C. M. 1952: Heroic Poetry. London.
[3] Miller, D. 2000: The Epic Hero. Baltimore.

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