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Teilprojekt D16


Semantischer Wandel präfigurativer Heldenfiguren in Iran seit 1925

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Tim Epkenhans; Mitarbeiterin: Sarah Stegemann

 

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Ziel des Teilprojekts war es, den semantischen Wandel präfigurativer Heldenfiguren sowie Diskurse über heroisierte historische Akteure in der offiziellen Geschichtsschreibung Irans während der Pahlavī-Dynastie (1925-1979) und der Islamischen Republik (seit 1979) zu analysieren. Das Teilprojekt umfasste zwei einander ergänzende Arbeitsvorhaben, die sich mit den unterschiedlichen Phasen der iranischen Geschichte im 20. Jahrhundert beschäftigten. Die theoretische Perspektive des Teilprojektes ist geprägt von der Auffassung, dass ein Nexus zwischen der Konstruktion kollektiver Identitäten und staatlich gesteuerter Historiographie als Legitimationswissenschaft besteht. Das Projekt geht von der Hypothese aus, dass die offizielle Geschichtsschreibung des Pahlavī-Regimes und der Islamischen Republik Iran in der Auswahl heroischer Akteure auf drei zentrale Wissensbestände (Mythos, Religion und Geschichte) rekurrieren. In der offiziellen Historiographie angelegte Helden- und Heroisierungsnarrative stellen in diesem Zusammenhang zentrale Marker für die staatliche Identitätspolitik dar. Exzeptionelle Akteure werden über soziale Praxis zu Helden und somit zu exemplarischen Vorbildfiguren gedeutet und geben somit Auskunft über hegemoniale Konzepte von Moralität, gesellschaftlicher Ordnung, Genderkonfigurationen sowie kollektiven Identitäten. Die Arbeitsvorhaben wählten hierbei einen kultur- und politikhistorischen Zugang zu den relevanten Quellentexten, die sich vor allem aus Schriften iranischer Historiker des 20./21. Jahrhundert sowie Publikationen staatlicher Institutionen (etwa des Kultur- und Bildungsministeriums) zusammensetzten.

Während Arbeitsvorhaben A sich in Form des Dissertationsprojektes „Historiographie der Pahlavī-Zeit“ (Sarah Stegemann) auf die Zeit bis zur Iranischen Revolution 1979 konzentrierte, widmete sich Arbeitsvorhaben B (Tim Epkenhans) der Historiographie der Islamischen Republik seit 1979 bis in die Gegenwart. Vorhaben A arbeitete eine Typologie verschiedener Helden heraus, die jeweils kennzeichnend für unterschiedliche, zyklisch wiederkehrende Phasen der iranischen Geschichte in den Darstellungen der Pahlavī-Geschichtsschreibung sind und Präfigurate bilden. So gibt es den rebellierenden Helden (Typ I), rebellierend sowohl gegen Fremdherrschaft als auch gegen Tyrannei. Beispielhaft für den ersten Typ, den rebellierenden Helden, ist Bābak-e Ḫorramdīn (798-838), der militante Führer einer religiösen Sekte, der während der islamischen Frühzeit auf verzweifeltem Posten die iranische Unabhängigkeit verteidigt haben soll. Zentral ist hier vor allem die Konstruktion eines vermeintlich essentiellen ethnischen Antagonismus zwischen Iranern und Arabern, allerdings scheinen bereits auch religiöse Differenzwahrnehmungen durch, hier ursprünglich-iranische, im Zoroastrismus angelegte Religiosität gegen den (sunnitischen) Islam als Element der Fremdherrschaft. In Typ I ist das vorgebliche fortwährende Bewusstsein eines exklusiven iranischen Nationalbewusstseins auch in der Krise versinnbildlicht. Ihm folgt der regierende Held (Typ II), der meist stabilisiert und reformiert, wie beispielsweise der Safavidenherrscher Schah ͑Abbās (1571-1629), dessen wesentliche Errungenschaften in prosperierender Wirtschaft, Städtebau und Infrastruktur in der Realisierung spezifischer Konzepte iranischer Kulturhaftigkeit, kurzum, in der Blüte der Nation vor den Augen der Welt gesehen werden. Ferner gibt es den kulturschaffenden Helden (Typ III), ein nur scheinbar apolitischer Bewahrer und Förderer der iranischen Nation, der dieser nicht zuletzt in der Diaspora einen kulturellen Überbau bietet. Neben nahliegenden Figuren wie Ferdousī (940-1020) und Ḥāfeẓ (1315-1390), tauchen bereits früh nach Europa reisende Gelehrte auf. Zu nennen ist hier etwa eine iranische Delegation, die den Astronomen Sir William Herschel (1738-1822) aufsuchte, um seine neuentwickelten Teleskope in Augenschein zu nehmen.[1] Auf der Metaebene relevant ist hierbei die Selbstheroisierung der Schriftsteller, die ihr eigenes Schaffen im Kontext des Kulturschaffenden sehen und sich somit als Kontinuum ihrer kulturschaffenden Helden begreifen. Daher finden sich oft bemerkenswerte Parallelen in der Inszenierung der Lebenswege jener Kulturhelden und denen ihrer Biographen. Als ein wichtiges Ergebnis der Analyse ist die deutliche Parallelität zwischen den Lebenswegen der beiden Monarchen der Pahlavī-Dynastie und den positiv bewerteten Eigenschaften der Präfigurate festzuhalten. So schildert der imminente Historiker Sa ͑īd Nafīsī (1895-1966) in seiner Darstellung der rezenten Vergangenheit Reżā Schahs (1878-1944) dessen Putsch als heroischen Akt nationaler Selbstbehauptung, ebenso wie insbesondere die Infrastruktur- und Reformmaßnahmen im ererbten Glanze Schah ͑Abbās‘ erscheinen.[2] Zudem hat jeder Typ ein Gegenstück, der keineswegs zwangsläufig der tatsächliche Widersacher des konkreten Helden ist, sondern ein Anti-Held, eine Verkehrung der guten Eigenschaften und Taten des Helden und somit eine Gefahr für den Iran. So ist ein Separatist wie Mīrzā Kuček Ḫān (1880-1921) das Gegenstück zum Rebellen, ein Zerstörer wie Alexander der Große Gegenpart zum Regenten, und der Parvenü ein vermeintlicher Kulturschaffender wie Nāṣer ad-Dīn Schah (1831-1896).

Das Arbeitsvorhaben B (Tim Epkenhans) beschäftigte sich mit historiographischen Texten, die im post-revolutionären Iran entstanden sind. Während der Erarbeitung des Quellenmaterials bestätigten sich die im Antrag aufgestellten Hypothesen: In der unmittelbar nach-revolutionären Phase zwischen 1979 und 1988, die insbesondere durch den Krieg gegen den Irak geprägt war, überwiegen Präfigurate und heroische Narrative, die sich dezidiert aus dem Wissensbestand der islamischen Tradition schöpfen. Das Martyrium al-Ḥusayns bei Karbala (680 u.Z.), sein Opfergang, gewaltsamer Tod und seine Niederlage stellen eine habituelle Konkretisierung von Heroismen im Kontext der politischen Konsolidierung der Islamischen Republik sowie des Iran-Irak Krieges dar. Für die folgende Periode zwischen 1988 bis 2005, die von einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Transformation und zunehmenden politischen Polarisierung während der Präsidentschaft Hāšemī Rafsanǧānī (reg. 1989-97) und seines Nachfolgers Moḥammad Ḫātemī (reg. 1997-2005) geprägt war, ist eine zunehmende Routinisierung der ideologischen Reproduktion der Islamischen Republik zu konstatieren, dies gilt auch für offizielle Heroisierungen und heroische Narrative. Diese Routinisierung heroischer Narrative aus dem religiösen Wissensbestand verändert ihre Funktion hin zu einer habituellen Performanz, die keinen genuin mobilisierenden Charakter im Sinne einer vorgestellten revolutionären Ethik mehr hat, sondern nun eine implizite Drohung gegen politischen und gesellschaftlichen Dissens enthält. Heroische Narrative und Präfigurate aus dem schiitischen Wissensbestand avancieren zum Proprium der autoritären politischen Eliten und ihrer Netzwerke, während sich Teile der Bevölkerung alternativen heroischen Figuren zuwenden. Diese alternativen heroischen Figuren verfügen zumeist über eine ambivalente Attraktionskraft und entziehen sich so offiziellen Vereinnahmungen, die Eindeutigkeit verlangen. Das Phänomen der Routinisierung historischer Narrative ist eine wichtige Ergänzung zu den relevanten Diskussionen über Heroisierungen in autoritären Systemen. Die Analyse der historiographischen Texte bestätigt hingegen auch die Arbeitshypothesen des Teilprojektes, so etwa die Amalgamation der Diskurse zum Heroischen: So sind die mythologischen und historischen Heroisierungsnarrative der Pahlavī-Historiographie (Arbeitsvorhaben A) seit den 1990er Jahren wieder zentraler Bestandteil der Vorstellungen einer dezidiert (ethnisch-)iranischen kollektiven Identität. Gleichzeitig erfahren heroische Akteure der jüngeren iranischen Geschichte eine Neubewertung, wie etwa der vazīr (vergleichbar mit einem Regierungschef) Amīr Kabīr (reg. 1848-1852). Das Fallbeispiel der Heroisierung von Amīr Kabīr ist nicht zuletzt aufschlussreich, da dessen historische Bewertung in der Islamischen Republik auf einen der zentralen politischen Akteure zurückgeht, nämlich Hāšemī Rafsanǧānī (1934-2017), der Amīr Kabīr als einen „Helden des Widerstandes gegen den Imperialismus“ inszenierte.[3] Als Rafsanǧānī 2017 verstarb, gedachten seine Anhänger dem Verstorbenen entlang der Heroisierungsnarrative, die Rafsanǧānī in seiner historischen Bewertung Amīr Kabīrs vorgegeben hatte. Parallel zur Erarbeitung des umfangreichen Quellenkorpus arbeiteten beide Arbeitsvorhaben einem Katalog präfigurativer Heldenfiguren zu. Dieser Katalog, der derzeit 60 Figuren aus der iranischen Mythologie und Geschichte sowie schiitischen Tradition umfasst, skizziert neben bio- und historiographischen Angaben auch die präfigurativen Potentiale der heroisierten Figuren.


[1] Iqbāl, ͑A. (1944): Molāqāt-i do tan-e Īrānī bā Heršel [Treffen zweier Iraner mit Herschel]. In: Yādgār II, 78-80.

[2] Nafīsī, S. (1965). Pīšraft-hā-yi Irān dar dūri-yi Pahlavī [Der Fortschritt Irans in der Pahlavī-Ära]. Tehrān: [Entešārāt šūrā-yi markazī-yi ǧašnhā-yi bonyād o gozārī-yi šāhanšā-yi Irān].

[3] Rafsanǧānī (2017): Amīr Kabīr. Qahramān-e mobāreze bā esteʿmār [Amīr Kabīr. Der Held im Kampf gegen den Imperialismus]. Tehrān: Enteshārāt-e Farāhānī (erweiterte und kommentierte Neuauflage des Originaltextes von 1967).

 

 

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