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Teilprojekt D11


Junge Helden des Postheroismus. Verhandlungen des Heroischen in der skandinavischen Jugendliteratur seit 1945

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Joachim Grage; Mitarbeiter: Sotirios Kimon Mouzakis

 

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Ziel des Teilprojektes war es, die Thematisierung von Heldentum und das Vorkommen heroischer Figuren in der skandinavischen Jugendliteratur seit deren Autonomisierung und Emanzipation von pädagogischer Instrumentalisierung in der Zeit nach 1945 bis in die Gegenwart zu untersuchen. Ausgangspunkt war die These, dass eine grundlegende Spannung besteht zwischen dem Ideal des modernen skandinavischen Wohlfahrtsstaates mit seinen sozialen Sicherungssystemen und dem Anspruch auf Egalität und Solidarität einerseits sowie dem Bedürfnis nach Individualität und Exzeptionalität im Zuge der jugendlichen Sozialisation und der Suche nach Identität andererseits. Die skandinavischen Nachkriegsgesellschaften sind Prototypen der westlichen postheroischen Gesellschaft, doch insbesondere in der Jugendkultur haben Heldinnen und Helden weiterhin einen hohen Stellenwert. Dementsprechend sollte die Jugendliteratur auf die Entwicklung des Wohlfahrtsstaates in den einzelnen Ländern bezogen werden. Fokussiert wurde auf die sozialrealistische Jugendliteratur Skandinaviens, die hohes internationales Ansehen genießt, da hier die Verflechtung von gesellschaftlicher Realität und literarischer Fiktion besonders groß ist.

Da die Jugendliteratur Skandinaviens, von einigen wenigen kanonisierten Romanen abgesehen, nicht breit erforscht ist, war es notwendig, durch extensive Lektüren ein Korpus von Werken zu erstellen, das für die Fragestellung ergiebig ist. So wurden insgesamt ca. 150 Romane recherchiert und gelesen, von denen etwa 50 als einschlägig eingestuft wurden.

Während Joachim Grage als Teilprojektleiter die Entwicklung von Heldenfiguren in der skandinavischen Kinder- und Jugendliteratur in einem größeren zeitlichen Rahmen vor dem Hintergrund der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates seit 1945 untersuchte und dabei auch der Frage nach der Funktionalisierung des Heroischen im pädagogischen Kontext und dem Zusammenhang von Heroismen und Gender nachging, konzentrierte sich Sotirios Kimon Mouzakis in seinem Dissertationsprojekt „Postheroic Young Heroes“ auf die Verhandlungen des Heroischen in der skandinavischen Jugendliteratur seit ca. 1990, d.h. vor dem Hintergrund eines Umbaus des Wohlfahrtsstaates, einer Liberalisierung der Gender-Politik und einer zunehmenden Hybridisierung der Gesellschaft durch Migration und soziale Mobilität.

Ein wesentliches übergreifendes Arbeitsergebnis war, dass sich der Heldendiskurs in der skandinavischen Jugendliteratur weniger offen zeigte als ursprünglich angenommen. Explizite Heroisierungen bleiben in der Regel aus. Das offensichtliche Fehlen von eindeutigen Zuschreibungen und die auch durch avancierte Erzählverfahren herbeigeführte Ambivalenz von Figuren, die als Helden auftreten könnten, erlaubt es, von einer postheroischen Jugendliteratur in Skandinavien zu sprechen. Die Identifikation der postheroischen Helden als Helden war schwierig und erforderte einer Erweiterung des Heldenbegriffs unter Einbezug anderer Sozialfiguren, wobei sich insbesondere der underdog als anschlussfähig erwies. Ausgehend von den Ergebnissen des Teilprojektes 12, dessen Theoriebildungen als Grundlage für den Heldenbegriff in der postheroischen Jugendliteratur sehr ergiebig waren, war die Entwicklung eines Instrumentariums notwendig, das gängige kulturwissenschaftliche Ansätze (Queer Theory, Precarity/Poverty Studies, Postcolonial Studies) zur Beschreibung und Analyse des Heroischen mit Augenmaß integrierte. Dabei erwies sich insbesondere ein intersektionaler Ansatz als fruchtbar: Da, wo Figuren an sektionale Grenzen stoßen (Geschlecht, Körper, Sexualität, Ethnie, soziale Klasse), zeigen sie häufig heroische Merkmale, ohne dass die Figur selbst als Held bezeichnet, von ihrer Umwelt heroisiert oder eindeutig zu anderen, etablierten Heldenfiguren in Beziehung gesetzt würde.

Ein weiteres Ergebnis war, dass die Errungenschaften, Probleme und Entwicklungen des Wohlfahrtsstaates zwar den narrativen Hintergrund der sozialrealistischen Romane bilden, nicht aber die Folie für die Interpretation heroischen Handels.

Diese Befunde sind nicht unbedingt spezifisch für Skandinavien, sondern decken sich mit dem, was sich auch in anderen westlichen Literaturen findet, die punktuell als Vergleich herangezogen wurden. Ein Unterschied zeigte sich allerdings darin, dass insbesondere in der Jugendliteratur Großbritanniens und der USA Heldinnen und Helden sehr viel häufiger als solche inszeniert und benannt werden. In den skandinavischen Literaturen geschieht dies deutlich subtiler.

Die Demokratisierung des Heldenkonzeptes zeigt sich in der skandinavischen Jugendliteratur besonders in der Zeit nach dem Kalten Krieg, wo Heldenfiguren meistens aus sozial prekären Verhältnissen ihren Weg in die Mitte der Gesellschaft finden müssen. Austragungsort des Heroischen ist nicht mehr das lange Zeit konventionell gesetzte Kampffeld, sondern vielmehr eine Öffnung des heroischen Feldes zugunsten einer Auseinandersetzung mit dem Selbst, die Orientierungscharakter bieten kann. Besonders der Körper ist als Projektionsfläche für heroische Verhandlungen ein prominenter Faktor. So muss sich die Figur selbst oder als Angehöriger einer kranken Figur einer Krankheit stellen (mit teils positivem, teils negativem Ausgang); das agonale Moment ist damit internalisiert und tritt nicht länger extern in einem Gewaltszenario als Feind oder aggressiver Gegenspieler in Form einer Figur auf. Außerdem zeigt sich die Auseinandersetzung mit dem Körper gleichzeitig als Initiationsprozess in der eigenen körperlichen und sexuellen Entwicklung; die Ausbildung der eigenen Identität, der Kampf mit dem Selbst und das Widerstehen heteronormativ-androzentrischer Machtstrukturen, die den skandinavischen Gesellschaften trotz allem zugrunde liegen, werden so narrativ zur heroischen Tat mit exzeptionellem und affektivem Charakter moduliert.

Anders zeigt sich im Medium Film eine deutliche Orientierung an US-amerikanischen Vorbildern, was neben der Offensichtlichkeit des heroischen Gehaltes sowohl Ästhetik als auch die moralische und ethische Funktion von (Super)Heldenfiguren betrifft; gleichzeitig spricht das Medium Film – entgegen unterschiedlicher Marketingstrategien – ebenso wie das amerikanische Vorbild kein globales Publikum an, sondern bleibt trotz diversifizierender Faktoren einem kulturell im Allgemeinen westlichen und im Spezifischen skandinavischen/nordeuropäischen Werte- und Normenkanon verpflichtet.

Im Dissertationsprojekt wurden als strukturierende Säulen die besonders auffälligen Faktoren Gender/Sexualität, Gesundheit/Krankheit, Migration und Armut/Prekarität aus der extensiven Lektüre destilliert. Dabei zeigte sich eine bisweilen intrikate Vernetzung dieser Faktoren, an deren Reibungsfläche Elemente des Heroischen hervortraten und somit sehr subtil und subkutan den Heroismusdiskurs führten.

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