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Teilprojekt C4

Semantische Konkurrenzen und mediale Inszenierungen des Heroischen in britischen Zeitschriften zwischen 1850 und 1900

Teilprojektleiterin: Prof. Dr. Barbara Korte; Mitarbeiterin: Christiane Hadamitzky
 
Projektdauer: 2012-2016 Bericht als PDF


Zeitschriften für ein allgemeines Publikum ermöglichen einen Einblick in die gesellschaftlich weit gestreuten Semantiken des Heroischen in der viktorianischen Kultur. Wegen einer besonders engen Anbindung an die Lebenswelt ihrer Leser/innen und der Vielfalt von Artikelgenres sind diese Zeitschriften für Bedeutungsnuancen des Heroischen und Behauptungen seiner gesellschaftlichen Relevanz sehr aussagekräftig. Gleichwohl wurde dieses populäre Medium für die Darstellung des Heroischen zuvor noch nicht untersucht.

Aus der Vielzahl der Titel auf dem ab 1850 stark expandierenden britischen Zeitschriften­markt wurde eine Auswahl der auflagenstärksten und/oder einflussreichsten Familien-, Frauen- und Kinderzeitschriften zwischen 1850 und 1900 ausgewertet. So konnten generelle Tendenzen ermittelt, aber auch die spezifischen heroischen Profile einzelner Zeitschriften in den Blick genommen werden. Diese Profile ergeben sich aus den verschiedenen weltanschaulichen Positionierungen der einzelnen Blätter und ihrer Produzenten, ebenso aus dem Geschlecht, der sozialen Schichtung und dem Lebensalter der jeweils intendierten Teilpublika, die sich für Zeitschriften präziser ermitteln lassen als für Bücher. Der Zugriff auf Semantiken des Heroischen und Strategien seiner Inszenierung erfolgte einerseits in der auf größere Tendenzen ausgerichteten Perspektive des distant reading (s. Franco Moretti, Distant Reading, London 2013), andererseits in close readings einzelner Artikel.

In einer Datenbank (The Heroic in Victorian Periodicals) wurden Artikel mit Aussagen zum Heroischen in Intervallen von meist fünf Jahren bibliographisch erfasst und ausgewertet. Die Datenbank enthält über 2000 durchsuchbare Einträge und erschließt das Material auch für künftige Nutzer. Die Auswertungen lassen ein komplexes Nebeneinander und Überlagern pluralisierter Vorstellungen des Heroischen bei unterschiedlichen Profilierungen in Familien-, Kinder-, und Frauenzeitschriften erkennen. Die Relevanz der Kategorien Gender und Lebensalter bei der Aufbereitung des Heroischen für die Teilpublika eines diversifizierten Zeitschriftenmarktes konnte deutlich nachgewiesen werden. Aber auch wenn Zeitschriften sich in ihren Profilierungen des Heroischen unterscheiden, konnten synchron wie diachron übergreifende Tendenzen ermittelt werden. So wurden charakterlich ausgewiesene moral heroes gegenüber transgressiven Heldenfiguren klar bevorzugt. Damit korrespondierte eine Präferenz von Heldenbewunderung statt -verehrung, da nur exemplarische Helden ein imitierendes Verhalten bei anderen anregen können. Die Publikumszeitschriften der viktorianischen Zeit propagierten heroische Figuren und Eigenschaften v.a. als Modelle für alltägliches, ziviles Verhalten und begrenzten das Exzeptionelle des Heroischen auf ein sozial kompatibles Maß, was gleichzeitig aber auch das verstärkte Einbeziehen von Frauen (wenn auch weiterhin in enger gezogenen Grenzen als für Männer) sowie von Akteuren aus den mittleren und unteren Schichten in Heroisierungsprozesse ermöglichte. Die sich demokratisierende Zuschreibung heroischer Eigenschaften im Verlauf des 19. Jhs. – in Hinblick auf das heroisierte Personal ebenso wie auf die Art heroisierbarer Taten – ging also mit einer Domestizierung des Heroischen einher. Trotz der hohen Transformationsdynamik der britischen Gesellschaft im Untersuchungszeitraum hat die Analyse gezeigt, dass das Heroische mit seinen Codes über den gesamten Untersuchungszeitraum ein sinn- und gemeinschaftsstiftendes Element blieb und soziale und politische Funktionen als Orientierungshilfe und Normstabilisator erfüllen konnte. Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist die stark ausgeprägte Reflexivität auf das Heroische in allen untersuchten Zeitschriften: Das Medium stellt unterschiedliche Ausprägungen des Heroischen und ihre Bedeutungen nicht nur dar, sondern leistet eine intensive ‚Arbeit‘ am Verständnis des Heroischen: Unterschiedliche tradierte und neue Figurationen des Heroischen werden explizit differenziert, aufeinander bezogen und in ihrer gesellschaftlichen Relevanz bewertet.

Die von Christiane Hadamitzky erstellte Dissertation (‚Homely, Easy and Attainable for All‘: The Representation of Heroism in Victorian Periodicals 1850 to 1900) bestätigt diese Tendenzen. Hier wurde das Medium der Publikumszeitschrift weniger in der Fläche als in der Tiefe und in detaillierten Analysen einzelner faktualer und fiktionaler Beiträge untersucht. Die Dissertation betrachtet schwerpunktmäßig die Familienzeitschrift Chambers’s Journal (CJ), vergleicht deren heroisches Profil aber auch mit denen zweier anderer Publikumszeitschriften, The Leisure Hour (LH) und Fraser’s Magazine (FM). Die drei Zeitschriften eignen sich aufgrund ihrer konstant hohen Auflage, ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtung und intendierten Leserschaften besonders gut für einen Vergleich: Das preisgünstige CJ – eine bislang generell kaum untersuchte Publikation – richtete sich an Leser der unteren Mittel- und der gebildeten Arbeiterschicht, mit didaktischem Anspruch, aber ohne programmatische politische oder religiöse Ausrichtung. LH zielte auf ein ähnliches, jedoch explizit christlich orientiertes Publikum, während FM als konservative politische Publikation stärker klassisch gebildete Kreise anzusprechen suchte. Der Verlag Chambers gestattete zudem einen Vergleich der Heroisierungsstrategien seiner Zeitschrift mit denen anderer Produkte des Hauses, wie Schulbüchern und Sammelbänden. Da das Verlagsarchiv in Edinburgh erhalten ist, konnten auch Produktionshintergründe recherchiert werden. Im Gesamtergebnis zeigt sich auch in der Dissertation in der diachronen Linie ein Nebeneinander verschiedener Konzeptionen des Heroischen und eine Verschiebung des ‚Heldenpersonals‘ zur Mitte der Gesellschaft. Auffällig ist auch hier die Fülle meta-heroischer Texte, die Inszenierungsweisen und Funktionen des Heroischen reflektieren. Der Begriff ‚hero(ine)‘ wird in vielen Texten in CJ und LH zu einem Synonym für ‚Vorbild‘, und es erfolgt eine Fokusverschiebung von der Heldentat zur Heldentugend. Es werden vermehrt nicht mehr große Taten bewundert, sondern die durch heroisierte Figuren inkorporierten, handlungsmotivierenden Werte (zentral hier v.a. endurance und selflessness und für die christlich geprägte Leisure Hour faith und piety). Diese Verschiebung ist für die didaktische Funktionalisierung des Heroischen wesentlich, da es so in die Lebenswelt des Publikums integrierbar wird. In FM, dessen Inhalte geprägt sind durch das Erbe früherer Beiträger wie Thomas Carlyle, wird das Heroische dagegen stärker im Bereich des Exzeptionellen verortet und nutzt den Helden nach Carlyleschem Muster als Abgrenzungsfigur der Elite von der Masse. An Fraser’s zeigt sich aber auch, dass in Zeiten der zunehmenden Bedeutung der Mittelschichten das Propagieren allein von Werten konservativer Eliten nicht mehr marktfähig war; die Zeitschrift wurde 1882 eingestellt.

Im Gesamtkontext des SFB konnte das Teilprojekt durch seinen Akzent auf ein populäres Massenmedium besonders Thesen zur Demokratisierung im Verständnis des Heroischen nachweisen. Neben Gender erwies sich dabei die Frage der sozialen Schicht als Element, an dem sich die Ausweitung der sozialen Reichweite des Heroischen deutlich manifestiert. An Zeitschriften für junge Leser ließ sich erkennen, wie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jhs. eine starke Tendenz zur erzieherischen Funktionalisierung des Heroischen manifestiert. Insbesondere hat das Teilprojekt verdeutlicht, wie verschiedene alte und neue Konzepte des Heroischen nebeneinander Bestand haben, und wie das Heroische für bestimmte Märkte und Teilpublika unterschiedlich konturiert wird. Ergänzend zum Zeitschriftenmaterial konnte dies auch für das populäre Buchgenre der Gift Books nachgewiesen werden, zu dem ebenfalls eine Datenbank erstellt wurde.

 

Publikationen des Teilprojekts

  • Hadamitzky, C. / Korte, B. (Hrsg.) 2017: DATENBANK: The Heroic in Victorian Periodicals, https://heroics-in-periodicals.ub.uni-freiburg.de/. DOI: 10.6094/SFB948/heroics-in-periodicals. [darin B. Korte “Profiling the Heroic Through Magazines of the Victorian Period: Introduction”, DOI: 10.694/UNIFR/11214.]
  • Hadamitzky, C. / Korte, B. 2016: Everyday Heroism for the Victorian Industrial Classes: The British Workman and The British Workwoman (1855 to 1880), in: S. Wendt (Hrsg.), Everyday Heroism in the United States, Germany, and Britain from the Nineteenth to the Twenty-First Century, Frankfurt a. M., S. 54–77.
  • Hadamitzky, C. 2015: The History of a Magazine is but the Influence of a Great Man? – Thomas Carlyle and the Decline of Fraser’s Magazine, in: R. G. Asch / M. Butter (Hrsg.), Bewunderer, Verehrer, Zuschauer. Die Helden und ihr Publikum (Helden – Heroisierungen – Heroismen 2), Würzburg, S. 75–91.
  • Hadamitzky, C. / Korte, B. (Hrsg.) 2015: DATENBANK: Hero Books on the Victorian and Edwardian Print Market: A Bibliography and Text Collection http://www.sfb948-blog.uni-freiburg.de/gift-books/ [darin: B. Korte “Introduction: The Heroic as ‘Gift’ on the Victorian and Edwardian Book Market”, DOI: 10.6094/UNIFR/11213.]
  • Korte, B. 2018: Naval Heroism in the Mid-Victorian Family Magazine, in: Q. Colville / J. Davey (Hrsg.), A New Naval History, Manchester (in Vorbereitung).
  • Korte, B. 2017: Philip Gibbs: Ein britischer Kriegskorrespondent im Ersten Weltkrieg, in: W. Frick /  G. Schnitzler (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg im Spiegel der Künste, Freiburg, S. 199–220.
  • Korte, B. 2016: Helden als Gabe: Ein Geschenkbuch für junge Leser am Vorabend des Ersten Weltkriegs, in: A. Aurnhammer / U. Bröckling (Hrsg.), Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte (Helden – Heroisierungen – Heroismen 4), Würzburg, S. 175–192.
  • Korte, B. 2016: On Heroes and Hero Worship: Regimes of Emotional Investment in Mid-Victorian Popular Magazines, in: Victorian Periodicals Review 49.2, S. 181–201.
  • Korte, B. 2016: Chums (1892–1932): Heroes and Things in a British Boys' Periodical, in: U. Bröckling / B. Korte / R. von den Hoff (Hrsg.), helden. heroes. héros, E-Journal zu Kulturen des Heroischen 4.1: Heroes and Things – Heroisches Handeln und Dinglichkeit, S. 33–41. DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./016/01/04.
  • Korte, B. 2015: Viele Helden für viele Leser: Das Heroische in viktorianischen Publikumszeitschriften, in: R. G. Asch / M. Butter (Hrsg.), Bewunderer, Verehrer, Zuschauer. Die Helden und ihr Publikum (Helden – Heroisierungen – Heroismen 2), Würzburg, S. 93–114.
  • Korte, B. 2014: ›Helden-Opfer‹ am Hellespont. Homerische Echos in britischen Weltkriegsromanen um 1920, in: B. Beßlich / D. Martin (Hrsg.), ›Schöpferische Restauration‹. Traditionsverhalten in der Literatur der Klassischen Moderne (Klassische Moderne 21), Würzburg, S. 305–319.

 

 

 

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