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Teilprojekt C3

Imaginäre Konkurrenz: ‚Exotische‘ Helden im englischen und deutschen Drama im späten 17. Jahrhundert

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Achim Aurnhammer, Prof. Dr. Barbara Korte; Mitarbeiterinnen: Dr. Christiane Hansen, Doris Lechner (November 2013 – März 2014), Mirjam Döpfert (November 2013 – Juli 2014)
 
Projektdauer: 2012-2016 Bericht als PDF


Am Ausgangspunkt des Teilprojekts stand die Beobachtung einer Konjunktur ‚exotischer‘ Figurationen auf den Bühnen der englischen Restaurationszeit einerseits, dem spätbarocken deutschen Theater andererseits. Diese werden in der Forschung meist im Sinne eines Projektionsmechanismus verstanden, dem entsprechend im Blick nach außen eigene Krisen verhandelt würden. Darüber hinaus, so die Hypothese, reagierten die spektakulären Inszenierungen eines kulturell Anderen auf ein gesteigertes Repräsentationsbedürfnis von Monarchie und Adel. Die Konjunktur ließe sich außerdem auf intensivierte (wenn auch unterschiedlich gelagerte) Kulturkontakte zurückführen. Insgesamt, so die Ausgangs­über­legung, dienten die so vorgeführten Figurationen der kritischen Inspektion einer zunehmend erodierenden Vorstellung heroischer Größe.

Das englische heroic play war als fest umrissenes Genre zwar kurzlebig, blieb aber als Folie für Abwandlungen produktiv. Die ‚fremden‘ Figuren und Schauplätze gewinnen dabei einen ausgeprägten Verweischarakter: Sie werden als leicht erkennbares Zitat eingesetzt, um eigene ästhetische und politische Positionen dialogisch deutlich zu machen. Das Spektrum der Referenzkulturen und Kontaktzonen ist dabei breit gestreut; besonders der Aufstieg Englands zur globalen Handels- und Kolonialmacht wird verstärkt reflektiert. Im deutsch­sprachigen Korpus ist die Konjunktur weniger scharf umgrenzt und in einer weniger einheitlichen literarischen und theatralen Kultur verankert. Dramatisiert wurden vorrangig Kulturkollisionen, deren Schauplatz, Handlungszeit und Konstellation von entscheidender Bedeutung für die Heroisierungen fremdkultureller Protagonisten ist. Zeitliche und räumliche Ferne sowie die fiktionale Überformung historischer Sujets förderten die Rezeption orientalischer Helden vor allem in der neu etablierten Leitgattung des Librettos. Allerdings gewinnen die fremdkulturellen Heldenfiguren keine spezifische Semantik. Sie verkörpern meist allgemeine heroische Tugenden, indem sie gegen ein – meist ähnlich schematisiertes – Anderes profiliert werden, so paradigmatisch in den Märtyrerdarstellungen auf den jesuitischen Bühnen.

Die aus dem Teilprojekt hervorgehende Monographie (Christiane Hansen) konzentriert sich auf die Londoner Bühnen von 1660 bis 1690. Während am Phänomen des Heroischen politische und soziale Fragen der restaurierten Monarchie zur Kristallisation kommen, rückt in den Vordergrund der dramatischen Arbeit die Frage nach den Mechanismen heroischer Wirkung: Am Schnittpunkt von theologischen, politischen, epistemologischen und poetischen Diskursen wird die affektive Logik des Staunens, Bewunderns, Fürchtens, Verehrens und (Mit-)Leidens und die darin je implizite Zuschauerposition ausgeleuchtet. Die Monographie untersucht, wie Markierungen des Anderen und Fremden (zum Beispiel gender, Zivilisation, kulturelle Identität) als Ressource eingesetzt werden, um diesen Prozess zu erklären und zu problematisieren. Gerade die Ablenkung des Heroischen auf ein ‚Anderes‘ legt die einzelnen beteiligten Konstituenten frei, indem sie die Unmittelbarkeit der heroischen Gesamtwirkung bricht. Davon ausgehend werden die Verflechtungen der heroischen Diskurse mit Pro­jektionen des Sakralen, des Männlichen, von kultureller Identität und politischen oder normativen Ordnungen sichtbar.

Barbara Korte hat sich mit Aphra Behns The Widow Ranter und Drydens Amboyna befasst, d.h. Dramen, die Gattungskonventionen des heroic play beugen, um damit durch die Linse des Fremden die Problematik erweiterter Zuschreibungen des Heroischen in den Blick zu nehmen. Solche Erweiterungen gegenüber einem traditionell aristokratischen und herrscherlichen Personal waren durch die wachsende Bedeutung der mittleren Stände und vor allem der Akteure des neuen Welthandels und der Kolonisation bedingt. Beide Analysen zeigen, wie das heroic play mit seinem konventionell-exotischen Personal genutzt werden konnte, um Verschiebungen in der englischen Gesellschaft über Verschiebungen im Heroisierungssystem darzustellen.

Achim Aurnhammer und Mirjam Döpfert haben sich vorrangig mit den neulateinischen Japanerdramen des Jesuitenordens befasst, die zwischen 1604/07 und der Aufhebung des Ordens kontinuierlich auf den Jesuitenbühnen gespielt wurden. Erstmals wurden systematisch die Periochen solcher Japanerdramen recherchiert, kopiert bzw. digitalisiert und bibliographisch verzeichnet. Erfasst sind bislang Hinweise auf mehr als 280 solcher Dramen, 122 Periochen liegen mittlerweile in Kopie vor. Die Dramen schildern gewaltsame Episoden aus der Ordens- und Missionsgeschichte, passen ihre Protagonisten aber dem christlichen Märtyrermodell an, während die japanische Kultur als heidnische Konstrastfolie herangezogen wird. Die jesuitischen Japonica lassen sich in der Dichotomie von Tugend- und Lasterspiegel zwei großen Kreisen zuteilen: Die erste Gruppe bilden die Herrscherdramen, die das Wirkungsziel haben, abzuschrecken (deterrere). Die Herrscher (und oft auch deren Hof) fungieren als negative Beispielfiguren, die illustrieren, dass Affektverfallenheit und Machtgier sowie eine Ausrichtung auf vergängliche Güter ins Verderben führt. Die Märtyrerdramen, die etwa zwei Drittel des Gesamtkorpus ausmachen, spornen dagegen den Zuschauer zum tätigen Glauben an (incitare), indem sie die Protagonisten als heroische Muster inszenieren, die zur imitatio aufrufen. Die promi­nentesten und quantitativ dominierenden Repräsentanten sind zum Christentum konvertierte Japaner, die heldenhaft für ihren Glauben in den Tod gehen. Vorgeführt wird die constantia der fremden Helden auf den klassischen heroischen Bewährungsfeldern von Krieg, Liebe und Tod, ihr qualvolles Sterben wird zum strahlenden Sieg überhöht (victor quia victima). Daneben finden sich gemäßigtere Exempla menschlicher Tugend, deren moralisch vorbild­haftes Handeln in Freundschafts- und Familiendramen zur Nachahmung einlädt.

In einer davon unabhängigen, eigenen Studie hat Aurnhammer Montezuma (1755) unter­sucht, die tragedia per musica von der Eroberung Mexikos, die Friedrich II. von Preußen in französischer Sprache verfasste, bevor sie sein Hofdichter Giovan Pietro Tagliazucchi in ein italienisches Libretto übertrug, das der Hofkapellmeister Carl Heinrich Graun vertonte. Die Untersuchung konnte einen doppelten Perspektivismus und typologische Charakteri­sierungs­t­echniken als maßgebliche Strategien nachweisen, mit denen in Friedrichs Tragödie der exotische Protagonist und mehr noch seine Gefährtin zu Helden überhöht werden: So wird Montezuma gegen die machiavellistische Kontrastfigur Cortéz zum aufgeklärten Fürsten idealisiert und im tragischen Modell vom Märtyrer-Tyrann zum stoischen Märtyrer erhöht; zugleich wird seine Braut Eupaforice sukzessive zur Virago heroisiert und gewinnt durch ihren Freitod antike Größe. Damit repräsentiert in Friedrichs Montezuma die Neue Welt die humanistischen Werte der europäischen Antike, während die spanischen Conquistadoren zu skrupellosen, ehrgeizigen und habgierigen Machtpolitikern enthumanisiert werden.

Einen erweiterten Blick auf die Kreuzungen des Heroischen und des Fremden öffnete die internationale Tagung „Fremde Helden auf europäischen Bühnen 1600–1900“ (2014), aus der auch ein Sammelband hervorging (Aurnhammer, Korte 2017).

Das Teilprojekt konnte durch seinen doppelten Fokus auf Aushandlungen des Heroischen einerseits und deren Überschneidungen mit Figurationen des ‚Fremden‘ andererseits jüngere Forschungen zum Umkreis des heroic play ergänzen und neu akzentuieren. Auch im Hinblick auf die bereits vorliegenden Untersuchungen etwa zu Kolonialisierung oder orientalischen Kulturkontakten konnte das Teilprojekt deutlich machen, wie solche Entwicklungen nicht nur auf Konstruktionen des Heroischen zurückwirken, sondern auch anhand von heroischen Figurationen verhandelt werden.

 

Publikationen des Teilprojekts

  • Aurnhammer, A. / Korte, B. (Hrsg.) 2017: Fremde Helden auf europäischen Bühnen 1600–1900 (Helden – Heroisierungen – Heroismen 5), Würzburg [darin ebenfalls: „Einleitung“, S. 9–19.]
  • Aurnhammer, A. 2017: Friedrich II. „Montezuma“ (1755) – ein aztekischer Anti-Machiavell, in: A. Aurnhammer / B. Korte (Hrsg.), Fremde Helden auf europäischen Bühnen 1600–1900 (Helden – Heroisierungen – Heroismen 5), Würzburg, S. 145–164.
  • Döpfert, M. 2017: Miles Japonus et Christianus. Japanische Märtyrer im barocken Jesuitentheater, in: A. Aurnhammer / B. Korte (Hrsg.), Fremde Helden auf europäischen Bühnen 1600–1900 (Helden – Heroisierungen – Heroismen 5), Würzburg, S. 49–70.
  • Hansen, C. 2017: „This borrow’d shape“: Barbarische Fremdheit und heroische Täuschung in Elkanah Settles „The Conquest of China, by the Tartars“ (1676), in: A. Aurnhammer / B. Korte (Hrsg.), Fremde Helden auf europäischen Bühnen 1600–1900 (Helden – Heroisierungen – Heroismen 5), Würzburg, S. 91–108.
  • Hansen, C. 2018: Gendering Fear. Transformations of Courage and Masculinity in Heroic Drama, in: C. Bahr / M. Mommertz / A. Schlüter [et al.] (Hrsg.), Tracing the Heroic Through Gender (Helden – Heroisierungen – Heroismen 8), Würzburg.
  • Hansen, C. 2014: Staging Admiration in John Dryden’s „Indian Emperour, or the Conquest of Mexico by the Spaniards” (1667), in: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen, Special Issue 1: Languages and Functions of the Heroic, S. 47–53, DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2014/QM/06.
  • Korte, B. 2017: John Drydens „Amboyna“: Verfremdungen des Heroischen im Kontext des Welthandels, in: A. Aurnhammer / B. Korte (Hrsg.), Fremde Helden auf europäischen Bühnen 1600–1900 (Helden – Heroisierungen – Heroismen 5), Würzburg, S. 109–126.
  • Korte, B. 2016: Konzeptionen des Heroischen bei Shakespeare, in: Shakespeare Jahrbuch 152: Shakespeares Helden und Heldinnen, Bochum, S. 11–29.
  • Korte, B. 2015: Aphra Behn’s „The Widow Ranter”: Theatrical Heroics in a Strange New World, in: Anglia 133, Heft 3, S. 435–451, DOI 10.1515/Anglia-2015-0040.
  • Lechner, D. 2016: And am I thus rewarded?“ The Rejected Hero and the Raped Heroine in Mary Pix’s „Ibrahim”, in: Zeitschrift für Anglistik und Amerikanistik 64, Heft 4, S. 367–383, DOI: 10.1515/zaa-2016-0035.

 

 

 

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