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Teilprojekt B8

Ästhetischer Heroismus. Heldenkonzepte Stefan Georges und seines Kreises

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Achim Aurnhammer; Mitarbeiterin: Ann-Christin Bolay
 
Projektdauer: 2012-2016Bericht als PDF


Ziel des Teilprojekts war es, Genese, Wandel und Vielfalt der für die Klassische Moderne modellhaften Heroisierungskonzepte Stefan Georges und seines Kreises zwischen 1900 und 1933 (Tod Georges) zu beschreiben. Das Teilprojekt umfasste zwei einander ergänzende Arbeitsvorhaben, denen die gemeinsame Leitfrage zugrunde lag, wie George und die Mitglieder seines Kreises einen ästhetischen Heroismus ohne heldenhafte Tat propagieren konnten. Anhand der Spannung von ‚Wort‘ und ‚Tat‘, die leitmotivisch die unterschiedlichen Textsorten des Kreises (Lyrik, Biographik, Essayistik) durchzieht, sollte diese zentrale Antinomie der Heroismus-Entwürfe im George-Kreis beschrieben werden. Arbeitsvorhaben 1 arbeitete die ästhetische Konzeption des Heroischen in der Lyrik Georges heraus, während Arbeitsvorhaben 2 die Heroisierungsstrategien in den Biographien bedeutender historischer Persönlichkeiten wie Cäsar, Goethe, Napoleon oder Nietzsche untersuchte, die von Kreismitgliedern verfasst wurden.

Die bisherige Forschung verwies zwar gelegentlich auf die literarischen Heroisierungsstrategien in der Lyrik Georges und der Biographik des Kreises, hat sie aber bislang nicht systematisch untersucht. Die vielen kulturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten zu George und seinem Kreis, die in jüngerer Zeit erschienen sind, zielen mehr auf rezeptionsgeschichtliche und soziologische Aspekte1, während die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Werk Georges und seines Kreises in den Hintergrund rückte. Das Teilprojekt konnte dennoch auf eine Reihe von Vorarbeiten zurückgreifen, insbesondere auf das 2012 erschienene George-Handbuch2 sowie auf thematisch einschlägige Einzelstudien hinsichtlich unseres ersten3 sowie zweiten4 Arbeitsvorhabens.

Beide Arbeitsvorhaben wählten einen kulturhistorisch fundierten philologischen Zugang zu den ausgewählten Texten. Arbeitsvorhaben 1 kombinierte ein close reading-Verfahren mit einer historischen Kontextualisierung, um die Heroisierungsstrategien in der Lyrik einerseits zu konturieren und andererseits zu relativieren. So wurde Georges komplexe Dichtung Der Krieg (1917) in ihrer Absage an die zeitgenössische Kriegsverherrlichung und in ihrer prospektiven Heroisierung einer neuen heroischen Elite in der Nachkriegszeit eingehend analysiert. Darüber hinaus wurden die Heroisierungsstrategien in textnahen Kommentaren zu den Zeitgedichten, dem ersten Binnenzyklus des Siebenten Rings (1907), und dem dritten Buch des Sterns des Bundes (1914) untersucht. Durch intertextuelle Bezüge und Vergleiche mit zeitgenössischen Hommagen wurde das Wechselspiel von Stigmatisierung und Charismatisierung als prägende Strategie erläutert, mit der George im Modus prophetischer Rede einen Vorbildkanon etabliert. Zusätzliche Autorität erhält dieser Kanon durch den autofiktionalen Charakter des Zyklus. Bestimmend für den Stern des Bundes ist ein „Gruppencharisma“5. Wurden für die neue Heldenverehrung in den Zeitgedichten heroische Präfigurate noch namentlich genannt, bleiben die Erlöser- und Führergestalten im Stern des Bundes anonym oder antonomastisch verrätselt und damit nur für die esoterische ‚Schar‘ eindeutig.

Arbeitsvorhaben 2 verfolgte einen narratologischen Ansatz, um die Biographik des Kreises paradigmatisch zu analysieren. So wurden Erzählhaltung und Erzählweise, Sprache und Stil, Perspektivierung und Strukturierung des biographischen Materials, Adressatenbezug und intertextuelle Referenzen untersucht. Das Textkorpus umfasste die folgenden Schriften: Friedrich Gundolf: Goethe (1916) und Caesar. Geschichte seines Ruhms (1924), Ernst Bertram: Nietzsche. Versuch einer Mythologie (1918), Berthold Vallentin: Napoleon (1923) sowie Wolfram von den Steinen: Franziskus und Dominikus (1926) und Bernhard von Clairvaux (1926). Das close reading zeigte, wie der Kreis diese prominenten Gestalten in einem genealogisch-ganzheitlichen Zugriff als Helden konstruierte und deren Verehrung auf sich selbst lenkte. Durch gezielte intertextuelle Vergleiche mit zeitgenössischen Biographien wurde die Spezifik der ‚Gestalt‘-Monographien zusätzlich konturiert. Die Biographik des George-Kreises hebt die übliche Trennung in Geistes- und Tathelden sowie in Helden und Heilige systematisch auf zugunsten eines übergreifenden und überzeitlichen heroischen Habitus: Das Individuelle der biographierten Figur wird exemplarisch überformt und der ‚Heldenmacher‘ zum Teilhaber ihres Heldentums. Die Einzelanalysen wurden durch eine ideengeschichtliche Untersuchung der Heroisierungskonzepte in den programmatischen Schriften des Kreises fundiert. Die theoretisch ausgerichteten Texte, v.a. von Friedrich Wolters und Friedrich Gundolf in den Jahrbüchern für die geistige Bewegung veröffentlicht, entwerfen ein gegenwartskritisches Heldenkonzept. Trotz der latenten Differenzen und unterschiedlichen Traditionsaneignungen (Friedrich Nietzsche, Thomas Carlyle, Gustave Le Bon und Max Weber) förderte die komparative Analyse eine maßgebliche Gemeinsamkeit zutage: die Orientierung an Stefan Georges Heroismusmodell, wie es paradigmatisch in der Vorrede zum Gedenkbuch Maximin dargelegt ist.

Beide Arbeitsvorhaben des Teilprojekts wurden in einem Vortrag zusammengeführt, den Teilprojektleiter und Bearbeiterin gemeinsam im Rahmen der SFB-Tagung „Imitatio heroica. Heldenangleichung im Bildnis“ (2014) hielten und der im Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 2015 veröffentlicht wurde (Aurnhammer / Bolay 2015a). Mithilfe von Erwin Panofskys Drei-Stufen-Schema der Kunstbetrachtung wurden ausgewählte Heldenporträts Stefan Georges analysiert. Indem die Zielfigur der heroischen Ausgangsfigur jeweils angeglichen wird, kommt es zu einer wechselseitigen Annäherung von Dichter und ‚Täter‘. So wird der traditionelle Gegensatz von Wort und Tat in einem neuen Heldenkonzept aufgehoben.

Die gemeinsamen Ergebnisse der beiden Arbeitsvorhaben des Teilprojekts zeigen übereinstimmend: Heroisierung und Heroismus im George-Kreis durchlaufen einen allmählichen Wechsel von einem ästhetischen Absolutismus zu einem ethischen Rigorismus, der in den hagiographischen Kult um Maximin mündet. Der Kreis grenzt sich vor allem von den Heldenmustern des Wilhelminismus ab, indem er deren Fehldeutung und Verflachung im bürgerlich-nationalen Kanon kritisiert. George und sein Kreis setzen dem strukturell-dominanten Nationaldiskurs, in dem Heroisierung dazu dient, nach außen eine überlegene Nation zu profilieren und nach innen die Nation im gemeinsamen Heroismus zu homogenisieren, ein elitäres Konzept von heroischem Habitus entgegen. Ohne das Heroische zu konkretisieren wird eine ‚Heldenerwartung‘ geweckt, die der Verkündigung ‚kommender Helden‘ dient. Sie dient der Gruppenidentität und selbstinszenierten Aufwertung des Kreises als einer dem Heroischen affinen Jüngerschaft, sog. ‚Haltungshelden‘. Die Heroisierungspraktiken im George-Kreis erhellen somit die Interdependenz von Personal- und Sozialfiguration bis hin zur Umkehrbarkeit der Wechselbeziehung von Heroisierung und Heroismus.

Der Teilprojektleiter und die Bearbeiterin standen während der gesamten Förderphase in engem wissenschaftlichem Austausch mit den führenden Stefan George-Forschern. Für den Werkkommentar (Egyptien 2016) hat der Teilprojektleiter die für das ‚Heroische‘ besonders affinen Gedichtzyklen Zeitgedichte und Stern des Bundes: III. Buch analysiert und auf internationalen Tagungen in Wien und Rom Teilergebnisse seines Arbeitsvorhabens vorgestellt. Die Bearbeiterin präsentierte ihr Arbeitsvorhaben auf Tagungen, Kolloquien und Forschungsaufenthalten im In- und Ausland (u.a. Mannheim, Bielefeld, London [Sylvia Naish Postgraduate Scholarship, University of London]). Beide Arbeitsvorhaben des Teilprojekts erwiesen sich als innovativer und aufschlussreicher Zugang für das spezifische Heroismus-Modell Georges und seines Kreises und behoben angemahnte Desiderate der George-Forschung. Für Arbeitsvorhaben 1 waren vor allem die intertextuelle Studie zur „Imitatio im George-Kreis“ von G. Eschenbach (2011) und die soziologisch fundierte „Poetik des Prophetischen“ von G. Wacker (2013) anregend. Auch die methodisch und inhaltlich affinen Studien von N. Immer und M. van Marwyck zum „Ästhetischen Heroismus“6 – rezensiert von der Bearbeiterin im SFB-E-Journal – und von N. Immer zum „Inszenierten Helden“7 befruchteten beide Arbeitsvorhaben. Der intensive Austausch mit dem George-Forscher F. Rossi, mit dem neben Einzelgesprächen auch ein Workshop zu Georges Dante-Übersetzungen in komparatistischer Perspektive stattfand, erwies sich für Arbeitsvorhaben 2 als hilfreich.

Im Wintersemester 2013/14 veranstaltete Achim Aurnhammer das Masterseminar „Stefan George und sein Kreis“, in dem die zentralen Aspekte des Teilprojekts zur Sprache kamen und Ann-Christin Bolay drei Sitzungen zur Biographik des Kreises leitete. Aus dem Forschungsseminar gingen die umfängliche Studie des japanischen Kollegen Hiroshi Matsuo („Arthur Schnitzler und Friedrich Gundolf“) sowie die preisgekrönte Masterarbeit von Jiang Wenja (SISU Shanghai 2014) hervor.
 

1 Raulff, U. 2009: Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben, München; Karlauf, T. 2007: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma. Biographie, München; Kolk, R. 1998: Literarische Gruppenbildung. Am Beispiel des George-Kreises 1890–1945 (Communicatio 17), Tübingen; Groppe, C. 1997: Die Macht der Bildung. Das deutsche Bildungsbürgertum und der George-Kreis 1890–1933, Köln.
2 Aurnhammer, A. / Braungart, W. / Breuer, St. / Oelmann, U. 2012 [2. Aufl. 2015], Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch, 3 Bde, Berlin.
3 Eschenbach, G. 2011: Imitatio im George-Kreis (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 63), Berlin; Wacker, G. 2013: Poetik des Prophetischen. Zum visionären Kunstverständnis in der Klassischen Moderne (Studien zur deutschen Literatur 201), Berlin.
4 Scheuer, H. 1979: Biographie als Mythographie – Der George-Kreis, in: ders. (Hrsg.), Biographie. Studien zur Funktion und zum Wandel einer literarischen Gattung vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Stuttgart, 121–151; Scheuer, H. 2001: „Dichter und Helden“ – Zur Biographik des George-Kreises, in: W. Braungart [u.a.] (Hrsg.), Stefan George. Werk und Wirkung seit dem ‚Siebenten Ring‘, Tübingen, 300–314;  Osterkamp, E. 1992: Das Eigene im Fremden. Georges Maximin-Erlebnis in seiner Bedeutung für die Konzeption der ‚Werke der Wissenschaft aus dem Kreise der Blätter für die Kunst‘, in: E. Iwasaki (Hrsg.), Begegnung mit dem 'Fremden'. Grenzen – Traditionen – Vergleiche. Akten des VIII. Internationalen Germanisten-Kongresses Tokyo 1990, Bd. 10, München, 394–400; Osterkamp, E. 1993: Friedrich Gundolf zwischen Kunst und Wissenschaft. Zur Problematik eines Germanisten aus dem George-Kreis, in: C. König / E. Lämmert (Hrsg.), Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 1910 bis 1925, Frankfurt a.M., S. 177–198; Arrighetti, A.-M. 2008: Mensch und Werk in kritischen Publikationen des George-Kreises. Zu Friedrich Gundolfs Goethe und zu Ernst Bertrams Nietzsche – Versuch einer Mythologie (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 48), Heidelberg; Rossi, F. 2011a: Die ‚Gestalt‘ des Erkennens. Verfahren der Wissenskonstitution und der Wissenschaftskritik im George-Kreis, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften 15, 154–187; Rossi, F. 2011b: Gesamterkennen. Zur Wissenschaftskritik und Gestalttheorie im George-Kreis (Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften, Reihe Literaturwissenschaft 730), Würzburg. 
5 Elias, N. 2014: Gruppencharisma und Gruppenschande. Mit einer biographischen Skizze von Hermann Korte, hg. v. E. Jentges (Aus dem Archiv 7), Marbach.
6 Immer, N. / van Marwyck, M. 2013: Ästhetischer Heroismus. Konzeptionelle und figurative Paradigmen des Helden (Edition Kulturwissenschaft 22), Bielefeld.
7 Immer, N. 2008: Der inszenierte Held. Schillers dramenpoetische Anthropologie (Jenaer germanistische Forschungen N.F. 26), Heidelberg.

 

Publikationen des Teilprojekts

  • Aurnhammer, A. 2017: Der Stern des Bundes: Drittes Buch, in: J. Egyptien (Hrsg.), Stefan George-Werkkommentar, Berlin, S. 548–566.
  • Aurnhammer, A. 2017: Zeitgedichte, in: J. Egyptien (Hrsg.), Stefan George –   Werkkommentar, Berlin, S. 335–355.
  • Aurnhammer, A. 2016a: „Im Anfang war das Wort!“ – „Im Anfang war die Tat!“ Wort und Tat in Stefan Georges Ideal des Heroischen, in: F. von Ammon / C. Rémi / G. Stiening (Hrsg.), Literatur und praktische Vernunft, Berlin, S. 537–554.
  • Aurnhammer, A. 2016b: Georg Büchner: „Der Helden-Tod der vierhundert Pforzheimer“ (1829), in: A. Aurnhammer / U. Bröckling (Hrsg.), Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte (Helden – Heroisierungen – Heroismen 4), Würzburg, S. 159–174.
  • Aurnhammer, A. / Bolay, A.-C. 2015a: Stefan George in Heldenportraits, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 59, S. 240–267.
  • Aurnhammer, A. 2015b: Dichterbilder mit Martin Opitz, in: A. Hölter / M. Schmitz-Emans (Hrsg.), Literaturgeschichte und Bildmedien, Heidelberg (Hermeia 14), S. 55–76.
  • Aurnhammer, A. 2014: Kriegslyrik als Nachkriegsvision. Stefan Georges Dichtung „Der Krieg“, in: Cultura Tedesca 46: 1914: Guerra e Letteratura, S. 53–79.
  • Bolay, A.-C. 2017: Dichter und Helden. Heroisierungsstrategien in der Biographik des George-Kreises, Dissertation, Würzburg.
  • Bolay, A.-C. 2017: „eine durch und durch poetische, künstlerische Natur“. Zu Ernst Bertrams und Theobald Zieglers Rezeption des Dichters Nietzsche, in: K. Grätz / S. Kaufmann (Hrsg.), Nietzsche-Lektüren 1: Nietzsche als Dichter. Lyrik – Poetologie – Rezeption, Weimar.
  • Bolay, A.-C. 2015a: Maximin und Cäsar. Adorationsmodelle im Stefan George-Kreis, in: R. G. Asch / M. Butter (Hrsg.), Bewunderer, Verehrer, Zuschauer. Die Helden und ihr Publikum (Helden – Heroisierungen – Heroismen 2), Würzburg, S. 139–160.
  • Bolay, A.-C. / Schlüter, A. (Red.) 2015b: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 3.1: Faszinosum Antiheld, DOI: 10.6094/helden.heroes.heros/2015/01/01.

 

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