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Thomas Nitschke


Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Teilprojekt D2

Kontakt

Hebelstraße 25, Raum 00 004
79104 Freiburg
Tel.: 0761-203 67599

thomas.nitschke@sfb948.uni-freiburg.de


Dissertationsprojekt "Heroische Geschichtsschreibung und politische Gemeinschaft. Zur süditalienischen Historiographie des 11. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der normannischen Eroberung und Herrschaftsbildung"

In Süditalien und Sizilien entstanden im 11. und 12. Jahrhundert vor dem Hintergrund der schrittweisen Eroberung des Landes durch normannische Söldner, die schließlich in der Etablierung des Königreichs Sizilien ihren Abschluss finden sollte, zahlreiche auf diese Eroberungen und sukzessive Herrschaftsbildungen fokussierte historiographische Werke. Es handelt sich nicht um bloße Berichterstattung, sondern um ausgefeilte literarische Texte von inhaltlicher wie formaler Komplexität. Gegenstand des Dissertationsprojekts ist vornehmlich deren wohl prägnanteste Eigenschaft: Die Werke operieren durchweg mit einer Fülle von Heldenbildern, heroischen Askriptionen und Referenzen. Dies ist auch jenseits der offensichtlichen Preisung der neuen normannischen Machthaber durch oftmals im offiziellen Umfeld stehende Autoren erklärungsbedürftig. Wenn nicht nur Normannen als ungestüme Eroberer, sondern auch byzantinische Kaiser als Reinkarnationen Alexanders des Großen oder sarazenische Krieger als homerische „Champions“ begegnen und ebenso entsprechend kontrastierende Deheroisierungen von verweichlichten Griechen, ungläubigen Muslimen und verräterischen Lombarden, so greift es zu kurz, diese Geschichtsschreibung einseitig als entweder für oder gegen die normannische Eroberung gerichtete, also legitimatorisches oder aber „widerständlerisches“ Medium zu werten, wie dies aufgrund der weitgehenden Vereinnahmung des Korpus durch die Normannenforschung oft geschehen ist. Demgegenüber und eingebettet in den methodischen Rahmen des Sonderforschungsbereichs 948 folgt das hier bearbeitete Dissertationsprojekt der Annahme, dass Heroisierungen und durch diese inszenierte Helden und Heldensymboliken als schlaglichtartige Kristallisationen der kollektiven Bedürfnisse, verbreiteten Vorstellungen und Identitäten innerhalb von Gemeinschaften gelten können, welche diese Texte rezipieren und tragen. In diesem Sinne können sie als Reflex breiterer sozialer Zusammenhänge gelten, doch zugleich müssen sie auch als Agenten bei der (Um-) Formung solcher Zusammenhänge und sozialen Ordnungen verstanden werden. Gerade im kulturell und religiös hoch komplexen und vielfältig zersplitterten Süditalien der Zeit kann die Herausbildung neuer politischer Ordnungen unter Führung normannischer Neuankömmlinge (die sich zudem wohl stark in der Minderzahl befanden) kaum plausibel als von der textuellen Darstellung letztlich unabhängiger oder dieser vorangehender Prozess betrachtet werden. Angesichts der mittlerweile konsensfähigen Bewertung dieser Prozesse als eher unplanmäßigen und langsames „Einsickerns“ normannischer Migranten statt als tatsächlicher „Eroberung“ scheint es eher wahrscheinlich, dass der Geschichtsschreibung – bei der oft eine große Herrschernähe zu konstatieren ist – auch eine soziale Zusammenhänge gewollt beeinflussende Rolle zukam. Das Dissertationsprojekt verfolgt in diesem Sinne zunächst das Ziel, die möglichen sozialen Funktionen von historigraphischen Werken in einer solchen Umbruchs- und Neuordnungssituation zu untersuchen. Doch darüber hinaus stellt sich auch die Frage, welche sozialen Zusammenhänge und Gruppen überhaupt von Zeitgenossen als unterscheidbare Kollektive wahrgenommen wurden und innerhalb welcher davon die Texte mit ihren vielfältigen Heroisierungsmustern und -strategien resonieren konnten. Auch hier ist wieder die formende „agency“ von Texten zusätzlich zu beachten: Es gilt zu klären, anhand welcher Kriterien die zeitgenössische Wahrnehmung distinkte Gemeinschaften unterschied und welche davon beeinflussbar und formbar waren. Nicht nur ethnisch und kulturell basierte, sondern auch auf politischer Gemeinschaft oder Assoziationen durch ähnlichen sozialen „Rang“ oder Habitus beruhenden Kollektividentitäten geraten so ins Blickfeld. Es sind gerade die frequenten kriegerischen Heroisierungen, die Aufschluss über die Herauskristallisierung sozialer Gruppen jenseits grober „ethnischer“ Differentiationen oder des „höfisch-ritterlichen“ Ideals geben können. Indem das Dissertationsprojekt diesen Fragen offen und ohne Vorabbindung an „normannische“ Eigenperspektiven verfolgt, soll somit ein letztlich auch auf breiterer Ebene gültiger Beitrag zum Verhältnis von historiographischer Produktion und der Entstehung neuer politischer Ordnungen im Mittelalter geleistet werden.

Akademischer Lebenslauf

seit 2016 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 948 der DFG, „Helden - Heroisierungen - Heroismen“
2012-2015 Master-Studium im Fach Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
2014-2015 Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes
2013-2014 ERASMUS-Auslandssemester an der Université Rennes II, Frankreich
2008-2012 Bachelor-Studium der Geschichte und Anglistik an der Georg-August-Universität Göttingen

 

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