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Teilprojekt D14


Heroisierungstrategien in Konflikten des Nahen Ostens seit den 1970er Jahren

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Johanna Pink; Mitarbeiter: Dr. Olmo Gölz

 

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Ziel des Projekts war es, in einer historisch-soziologischen Perspektive herauszuarbeiten, in welcher Weise die ideologischen, religiösen und politischen Gemengelagen in unterschiedlichen nahöstlichen Konfliktsituationen seit den 1970er Jahren Stereotypen des Heroischen hervorbrachten und reproduzierten. Grundlegend war die Annahme, dass über die Analyse der medialen Heldenproduktion im Untersuchungszeitraum Aussagen über wirkmächtige Diskurse gemacht werden können, welche die Region des Nahen Ostens über die Jahrtausendwende hinweg prägten und welche in gegenwärtigen Konflikten verstärkt reaktiviert werden.

Die Analyse dieser vielschichtigen historischen Prozesse leistete in dreifacher Hinsicht einen grundlegenden Beitrag zur Forschung: Erstens trug die Untersuchung des Wechselspiels von Heroisierungen und Dämonisierungen zwischen Regimen, deren Anhängern und ihren Gegnern zu einem besseren Verständnis von Mechanismen der aktiven Produktion von Heroismen in einem spezifischen kulturellen Kontext bei. Zweitens leistete das Teilprojekt Grundlagenforschung zur jüngeren Ideen-, Sozial- und Mediengeschichte im Nahen Osten. Drittens wurden aktuelle Diskussionen um Dschihadismus und Märtyrertum historisch vertieft.

Den Ausgangsüberlegungen und einem diskursanalytischen Ansatz folgend, richtete sich das Teilprojekt zunächst in einem doppelten Vorgehen an zwei zentralen Themenstellungen aus: Einerseits wurden jene für den postkolonialen Nahen Osten zentrale Figuren der antiimperialen Selbstbehauptung untersucht, welche für die nachfolgenden Heroisierungsparadigmen einen prägenden Charakter einnahmen. Hier standen neben der Ermittlung der Diskurse zu Helden der Dekolonisation die Nationalhelden Nasser (Ägypten), Saddam (Irak) und Khomeini (Iran) im Zentrum der Auseinandersetzung. Wie sehr sich die Heroisierung der entsprechenden Akteure nicht nur an der Dämonisierung personalisierter Antagonisten orientierte, sondern auch am postkolonialen Kontext, in welchen muslimisch geprägte Gesellschaften im Rahmen der hegemonialen bipolaren Weltordnung eingebettet waren, zeigte die Untersuchung der Beerdigungen der Nationalhelden Nasser und Khomeini. Beide wurden letztlich als Repräsentanten einer dezidiert antiimperialistischen Ordnung gesehen, die sie selbst geschaffen hatten und als deren Garanten sie im Angesicht ihres historisch übermächtig erscheinenden abstrakten Gegners, des westlichen Imperialismus, wahrgenommen wurden.

Parallel zu diesen antikolonialen Figurationen der Moderne wurden im Teilprojekt die heroischen Präfigurate der islamischen Denominationen in den Blick genommen, um den Islamisierungstendenzen der politischen Diskurse im Nahen Osten seit den 1970er Jahren Rechnung zu tragen. In religionswissenschaftlichen Quellenstudien wurden hier Heroismen im Koran und die Narrationslinien der für das Schisma zwischen Sunniten und Schiiten zentralen Schlacht bei Kerbala 680 u.Z. analysiert. Im Falle der Erinnerung an die Schlacht von Kerbala und die durch das Kerbalaparadigma aufgerufenen Mobilisierungsdiskurse in Revolution und Krieg in den 1970er und 80er Jahren konnte über die Analyse staatlicher iranischer Zeitungsberichte zu den jährlichen Wiederaufführungen in Passionsspielen der medienanalytische Ansatz seinen hohen Nutzen für das Teilprojekt unter Beweis stellen.

Einen besonderen Beitrag zur Theoriebildung leistete die Fallstudie des Iran-Irak-Krieges (Olmo Gölz), die sowohl die Herausbildung der während des Krieges wirksamen Diskurse als auch die Ebene des Präfigurativen in den Blick nahm – so zum Beispiel die frühislamische Geschichte oder Verweise auf das vorislamische Mesopotamien und Persien. Außerdem konnte herausgestellt werden, wie der Iran-Irak-Krieg selbst bestimmte Heroismen hervorbrachte, die bis heute wirksam sind und sich beispielweise in aktuellen Vorstellungen zum islamistischen Selbstmordattentäter oder Märtyrer (je nach eingenommener Perspektive) artikulieren. Dabei wurde durch eine doppelte Sicht das Zeitschichtenmodell produktiv gemacht: Einerseits wurde ermittelt, in welcher Weise in den besprochenen Gesellschaften präfigurative Modelle des Heroischen und Erfahrungen des Alltags, in denen die Rhetorik des Heroischen aufgegriffen wird, miteinander verbunden werden und zu bekannten und neuen Erscheinungsformen kombiniert wurden. Andererseits wurde aufgezeigt, in welcher Weise diese jungen historischen Erfahrungen selbst Wirkmächtigkeit für gegenwärtige Heroismen im Nahen Osten entfalten konnten.

Im Hinblick auf den Moment des Krieges wurde für die Trennung der präfigurativen Ebene von der diskursiven Ebene des historischen Moments eine Typologie entwickelt, die nach dem kollektiven Sog der Rhetoriken des Heroischen fragt und sich so in Held, Heldenkollektive, heroische Kollektive und kollektives Heldentum aufgliedert. Die Übertragung dieser typologischen Beobachtung auf die iranische Gesellschaft der 1970er und 80er Jahre zeigte explizit, dass die Phänomene des Heroischen nicht diachron aufeinander aufbauen, sondern in einem Spannungsfeld nebeneinander und miteinander existieren. Übertragen auf den Krieg konnte gezeigt werden, dass Helden und Heldenkollektive dort ihre Wirkmacht entwickelten, wo sie als Präfigurate konstruiert wurden, wohingegen heroische Kollektive und kollektives Heldentum Produkte der Übertragungen der entsprechenden Diskurse auf die Lebenswirklichkeit im Krieg darstellten. Figuren des frühen Islams, welche als Gründungshelden der schiitischen Denomination verehrt werden, fanden ihre Zusammenführung in jenem Heldenkollektiv, welches gemäß der schiitischen Überlieferung bei Kerbala den Märtyrertod gestorben ist. Die in der Geschichte dieser Schlacht verhandelten Heldenerzählungen bestimmen maßgeblich den Werte- und Normenkatalog schiitischer Gesellschaften. Die in der Erzählung der Schlacht transportierte Geschichtsauffassung beansprucht dabei, eine geschlossene Kosmologie für gläubige Muslime zur Verfügung zu stellen, die sich auf alle Belange des Lebens übertragen lässt. Der essenzialisierenden Annahme, dass dieser Katalog durch die Referenz auf ein Ereignis, das über 1300 Jahre zurückliegt, statisch und unveränderlich sei, konnte durch die Bezugnahme auf die theoretischen Mechanismen des Heldenkollektivs begegnet werden. Durch die sich den Gegebenheiten der Zeit anpassenden Auf- und Abwertungsprozesse bestimmter Themen und Figuren des im Kerbalaparadigma referenzierten Heldenkollektivs erwies sich dieses als ein flexibles Repertoire an Symbolen, das den Werte- und Normenkanon schiitischer Gesellschaften fortlaufend neu zu definieren vermag.

Zu beobachten war dies insbesondere bei den Übertragungen der in diesem Heldenkollektiv verhandelten Diskurse auf die Bedingungen des revolutionären und kriegführenden Iran, wo die Heroisierung der als „Fürst der Märtyrer“ verehrten Figur Imam Husseins (626-680) betont wurde und folglich die Heroismen dieser Zeit nachhaltig prägte. Letztlich rückte so auf Kosten einer zuvor favorisierten passiven Leidensversion der Erzählung der Ereignisse von Kerbala der Aufruf zum aktiven und kämpferischen Martyrium in den Vordergrund. Der über die dynamischen Prozesse der Erinnerung und Heroisierung von konkurrierenden Themen und Figuren im Heldenkollektiv evozierte Diskurs hatte wiederum nachhaltige Wirkung auf die Implementierung von heroischen Kollektiven. Diese suchten ihre Bewährung zunächst in den Prozessen der islamischen Revolution und des Iran-Irak-Kriegs, wo sich etwa die Revolutionsgarden als heroisches Kollektiv etablieren konnten. Diese forderten von ihren Mitgliedern schließlich das heroische Selbstopfer (in Anlehnung an das Präfigurat des Imam Hussein) in einer Weise ein, die als eine Professionalisierung des Martyriums bezeichnet werden kann. Die asymmetrischen Logiken des Martyriums, das immer implizit auch auf eine Position der Schwäche verweist, deuten zudem auf die Notwendigkeiten der Durchsetzung von Diskursen zum kollektiven Heldentum hin, welche letztlich alle gläubigen Muslime erfassen und auf die ideologische Nachkommenschaft der heroischen Vorbilder verpflichten sollte. Deren im Kerbalaparadigma als von Anfang an aussichtslos referenzierter Kampf im Sinne des Guten und Gerechten gegen eine Übermacht des tyrannischen Gegners wurde aufgerufen und dadurch insinuiert, dass jeder Schiit die Pflicht und die Möglichkeit hat, jederzeit für das Gute im Angesicht des Bösen sein Leben zu opfern – weil er eben Teil jenes Kollektives ist, das sich als außergewöhnlich und auserwählt behauptet. Wenn man Heldentum mit Opferbereitschaft in Verbindung bringen möchte, dann liegt in dieser gesellschaftsweiten Heroisierung des Selbstopfers als Martyrium wohl die äußerste denkbare Form des kollektiven Heldentums. Der Platz des Märtyrers in der kollektiven Erinnerung von Gemeinschaften und seine Bedeutung für das boundary work dieser Gemeinschaften wurde auf Grundlage dieser Überlegungen theoretisiert und in Beziehung zu anderen Figuren des Heroischen gesetzt.

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