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Teilprojekt D8


Heroisierung von Arbeit in China und Russland zwischen 1920 und 1960

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Dietmar Neutatz, Prof. Dr. Nicola Spakowski; Mitarbeiter/in: Irina Tibilova, Alexander Schröder

 

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Ausgehend von der Annahme, dass sich die Figur des Arbeitshelden als ein Kulturen und politische Lager übergreifendes Phänomen formierte, setzte sich das Teilprojekt zum Ziel, die Heroisierung von Arbeit in länder- und kulturspezifischen kommunistischen Kontexten vergleichend zu untersuchen. Es betrachtete Heroisierung von Arbeit als Antwort auf die Herausforderungen der Moderne und als Teil eines antikapitalistischen Gesellschaftsentwurfs.

Die Hauptergebnisse der Arbeit bestehen in den folgenden Punkten:

  • Das System der Arbeitshelden unterlag über den gesamten Untersuchungszeitraum einem starken Wandel.
  • Es spielte eine bedeutende Rolle im gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozess.
  • Neben der Produktivitätssteigerung wurden ArbeitsheldInnen zur Exemplifizierung gesellschaftlicher Werte genutzt. Dies erklärt die Ausweitung des Systems auf immer größere Gesellschaftsgruppen und den Vorrang der Exemplarität vor der Exzeptionalität.
  • Der Transfer zwischen der Sowjetunion und China verlief einseitig und punktuell. Konkrete Praktiken orientierten sich eher an den jeweiligen nationalen Bedürfnissen.

 

Die Hauptarbeit des Teilprojektes wurde im Rahmen der beiden Dissertationen unter den Titeln „Heroisierung und Militarisierung von Arbeit in der Sowjetunion von 1919 bis 1991“ und „ArbeitsheldInnen in wechselnden Kontexten des chinesischen Sozialismus von den späten 1920er Jahren bis ca. 1960“ geleistet. Die beiden Unterprojekte wiesen – wie erwartet – zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede auf. Die Untersuchung der Quellen verwies in beiden Einzelstudien auf Heroisierungsprozesse mit vergleichbaren Ursprüngen, Kontexten, Funktionen und Verläufen.

Die Konzepte und Praxis der Heroisierung von Arbeit veränderten sich im Laufe der Jahrzehnte stark. Entgegen der Ausgangsvermutung stellte sich heraus, dass der Ursprung der Heroisierung von Arbeit in Sowjetrussland nicht in der marxistisch-leninistischen Ideologie lag, sondern in der pragmatischen Übertragung militärischer Prinzipien aus der Not des Bürgerkriegs heraus. Erst im Zuge von Stalins ‚Revolution von oben‘ wurde das Arbeitsheldentum in den 1930er Jahren ideologisch aufgeladen. Auch für China waren bestimmte Mobilisierungspraktiken im Rahmen von Produktionskampagnen, unter anderem die Auszeichnung von Individuen und Kollektiven, bereits in den 1930er Jahren bekannt, bevor daraus ab 1943 ein System wurde, in dem zum einen mit einer stark instrumentalistischen Rhetorik Arbeitskräfte mobilisiert wurden, zum anderen der Begriff des Arbeitshelden eingeführt und mit einem neuen, marxistisch untermauerten Konzept von Arbeit und der Idee des ‚neuen Menschen‘ verbunden wurde.

Trotz des Bezugs zum Sozialismus wurde deutlich, dass die Normen und Werte, die über die Heroisierung von Arbeit transportiert wurden, nur partiell an die kommunistische Ideologie gebunden waren. Wichtiger und über den gesamten Untersuchungszeitraum präsent waren solche Werte wie Dienst am Vaterland, Loyalität, Fleiß und Engagement. Konzentrierte sich die Heroisierung von Arbeit zunächst auf Angehörige der Arbeiterklasse, so wurde sie überraschend schnell auf andere Personengruppen ausgeweitet. Sowohl in der Sowjetunion als auch in China betraf die Heroisierung von Arbeit bald auch Funktionäre, Ingenieure, Wissenschaftler, Kulturschaffende und Manager. Die Auszeichnung für Arbeitsheldentum sollte prinzipiell für alle Bürger*innen erreichbar sein und Vertreter aller Berufe zur Nachahmung der präsentierten Vorbilder anspornen.

Die für sozialistische Gesellschaften typische Orientierung am Kollektiv wurde einerseits durch die Auszeichnung individueller ArbeitsheldInnen gebrochen, in einem zweiten Schritt aber auch wieder egalisierend eingesetzt. Im chinesischen Fall schlug sich die Vorbildrolle auch in der Terminologie nieder, die neben der Heldensemantik auch mit dem Begriff des „Modellarbeiters“ operierte. Die Heroisierung war in beiden Ländern abseits der Exzeptionalität an der Exemplarität der Heroisierten orientiert. Millionen von Menschen wurden als „HeldIn der Arbeit“ oder „Modellarbeiter“ ausgezeichnet. Attraktionskraft durch Alltäglichkeit war ein durchgehender Zug des Arbeitsheldentums, das von Nähe und Nachahmbarkeit lebte. Arbeitshelden waren in beiden Ländern zentrale Figuren der inszenierten Öffentlichkeit und medial in vielfältiger Weise präsent. Zeitungen, Zeitschriften, Filme, Plakate und Kunstwerke förderten und popularisierten das Arbeitsheldentum, idealisierten mustergültige Individuen und forderten zur Nachahmung auf.

In beiden Teilstudien wurde das Arbeitsheldentum als Teil des Versuchs einer revolutionären Transformation ganzer Gesellschaften begriffen. Zu den konkreten Ausformungen dieser Praxis gehörte die Institutionalisierung des Arbeitsheldentums, das Regeln und politischen Zielsetzungen unterworfen war. In beiden Fällen erfolgte innerhalb der jeweiligen ‚Klassengesellschaft‘ eine Aufwertung körperlicher Arbeit, was mit deren gesellschaftlichem Aufstieg verbunden war. Die Heroisierung speziell arbeitender Frauen hatte auch einen emanzipatorischen Gehalt, indem sie Brüche mit tradierten Geschlechterrollen popularisierte. Gleichwohl konnte gezeigt werden, dass männliches und weibliches Arbeitsheldentum unterschiedliche Funktionen hatte und, besonders im sowjetischen Fall, bald ebenfalls wieder bestimmten Rollenbildern folgte.

Der besondere Beitrag der Dissertation zur Sowjetunion besteht darin, den Wandel des Konzepts der Heroisierung von Arbeit über die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen des Landes während seiner gesamten Dauer hinweg zu untersuchen und seine jeweiligen Funktionen in Abhängigkeit von den Gesamtkontexten zu erklären. Ökonomisch wurde die Heroisierung von Arbeit gezielt eingesetzt, um in besonders wichtigen Branchen Anreize zu schaffen. Sozial war sie ein Angebot zur Integration in die neue Gesellschaftsordnung und zum Aufstieg. Politisch diente sie zunächst Stalin als eine Art plebiszitäres Instrument, um das Leitungspersonal von Betrieben unter Druck zu setzen und sich die Loyalität einer Gefolgschaft zu sichern, die ihm ihre Karriere verdankte. Später fügte sie sich in das Gesamtsystem der spätsowjetischen Integrationsangebote.

Für China konnte das System der Arbeitshelden mit seinen einzelnen Bestandteilen (Auswahl, Belohnungen, Kongresse, Wettbewerbe, Ausstellungen) und in seiner gesamten Entwicklung von den Anfängen bis zum Jahr 1966 rekonstruiert werden. Es konnte gezeigt werden, dass bisher dominante monokausale Erklärungsansätze (Lernen von Vorbildern, Import aus der Sowjetunion) das Phänomen nicht hinreichend erklären. Vielmehr stellte es sich als multidimensional heraus. Seine Funktion bestand neben der Produktivitätssteigerung in der Vermittlung und Propagierung neuer landwirtschaftlicher und industrieller Techniken, neuer Eigentumsformen und neuer sozialer Beziehungen. Jedes der besonders bekannten Beispiele von ArbeitsheldInnen (Wu Manyou, Zhao Zhankui, Li Fenglian, Li Shunda, Geng Changsuo, Wang Guofan, Hao Jianxiu, Zhang Qiuxiang, Chen Yonggui, Wang Jinxi etc.) steht dabei für eine solche Neuerung.

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