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Teilprojekt D4


Grazia und Terribilità: Charismatisierungen des Künstlers als Phänomen des Heroischen in der Frühen Neuzeit

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Anna Schreurs-Morét; Mitarbeiterin: Jennifer Krieger geb. Trauschke (in Elternzeit von 11/2018 bis 11/2019; Projektende: 08/2021) 

 

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Ziel des Teilprojekts war es, in der Kunstliteratur und in Künstler(selbst)bildnissen zwischen ca. 1500 und ca. 1800 die Parameter grazia und terribilità als Grundmuster bis heute andauernder Vorstellungen des Künstlertums aufzuzeigen: Das Spannungsfeld von Anmut und Gewalt sollte in seinen Funktionen und seiner Wirkung als typisches Phänomen des Heroischen erklärt werden. Mit Blick auf die reiche Gefolgschaft der exzeptionellen Künstler gingen wir davon aus, dass darüber zudem eine präzisere Beschreibung von Charismatisierungsprozessen (im Sinne der Zuschreibung von bestimmten Eigenschaften von besonderer Wirkung) im Bezugsrahmen von Künstlern, Kunstliteraten und Auftraggebern vorgenommen werden kann. Einen Schwerpunkt bildeten in der Untersuchung auf der einen Seite Werke der Frühen Neuzeit, in denen der Künstler sich selbst als der jugendliche Held David inszeniert, auf der anderen Seite kunstliterarische Schlüsseltexte, in denen die „gewaltige“ Wirkung von Kunstwerken und Künstlern in Worte gefasst wird.

Die beiden Begriffe grazia und terribilità, mit denen Werke der vortrefflichsten Künstler beschrieben werden, könnte man in der Aussage zahlreicher Künstlerporträts und - selbstporträts seit dem 16. Jahrhundert, in denen sich der Maler in der Rolle des David als Held präsentiert, als ‚anmutig‘ und ‚gewaltbereit‘ interpretieren. Auch wenn nicht definitiv durch kunstliterarische Formulierungen nachzuweisen war, dass sich in diesen künstlerischen (Selbst-)Darstellungen die kunstliterarischen Heroisierungen des Künstlers mit ihren Zuschreibungen von grazia und terribilità widerspiegeln, lag der enge Konnex nahe: In den Darstellungen des siegreichen Davids wurden grundlegende Fragestellungen für das Kunstschaffen und die Position des Künstlers in der Frühen Neuzeit verhandelt. Grazia und terribilità boten in den kunstliterarischen Konzepten genau diejenigen Rahmenpunkte, innerhalb derer die herausragenden Künstler beschrieben wurden. Unserem Ziel, dieses Oszillieren zwischen grazia und terribilità als Charismatisierungsprozess der Künstler in der Frühen Neuzeit nachzuzeichnen, sind wir auf zwei Ebenen nähergekommen: auf der einen Seite durch die Erforschung von Selbstbildnissen der Künstler in der Rolle des Davids, die vor allem in den ersten dreißig Jahren des 17. Jahrhunderts in Rom in großer Zahl entstanden sind, auf der anderen Seite durch die Analyse ausgewählter Künstlerbiographik der Frühen Neuzeit.

Hinsichtlich der Identifikationsportraits zahlreicher italienischer Maler als David konnte ein sehr umfangreiches Materialkorpus zusammengestellt werden. Es wurde deutlich, dass die David-Darstellungen, die vor allem am Anfang des 17. Jahrhunderts in Rom in autoreferentieller Absicht entstanden, noch viel zahlreicher waren als angenommen. Die relevanten Werke wurden gesichtet und katalogartig erfasst. Dabei wurden auch einige Werke in den Blickpunkt gerückt, die lange nicht im Fokus des Interesses lagen und für die Forschung unter der Fragestellung des SFB neu entdeckt wurden (z.B. „David mit dem Haupt Goliaths“ von Paolo Guidotti, in der Sakristei der Basilika S. Paolo Maggiore in Rom, eine bislang wenig beachtete Daviddarstellung eines römischen Künstlers).

In dem Dissertationsprojekt der Mitarbeiterin Jennifer Krieger zum Thema „Staunen. Wundern. (Er)Schrecken – über die Strahlkraft des Künstlers“ konnten die narratologischen Konstrukte innerhalb von Vitentexten eng an diese Fragestellungen angebunden werden. Hier wurden vor allem die literarischen Strategien von Heroisierungen von Künstlern in den Blick genommen, wobei die umfangreiche Analyse der Heroisierungsstrategien in den Künstlerviten Giorgio Vasaris im Zentrum stand. Besondere Aufmerksamkeit lag dabei auf dem Genre der Künstlerbiographie sowie einzelnen Künstleranekdoten, um die narrative Inszenierung und Charakterisierung einer spezifischen Ausstrahlung der Künstler (und in diesem Sinne einem spezifischen Künstlercharisma) nachzuzeichnen. Mit den Schlüsselbegriffen stupore (staunen), maraviglia (wundern) und terribilità (erschrecken) wurden insbesondere affektive Dynamiken zwischen Künstler, Werk und Betrachter im Hinblick auf heroisierende Strategien analysiert. Die bewusste Verwendung dieser Begriffe und Konzepte wurde mit der Frage einer epochenübergreifenden Kanonisierung der Kunstgeschichte untersucht und auf ihre wirkungsästhetische Methode hin geprüft. Die intensive Arbeit an den Vitentexten (beispielsweise von Raffael und Michelangelo) zeigte die bedeutende Rolle Vasaris als Künstlerbiograph, der auf bewusste Weise eine Art von Heldenerinnerung inszenierte und sich dabei selbst als ‚Heldenmacher‘ in diesen Kreis miteinschrieb.

Die von ihm beschriebenen Künstler wurden von einem bestimmten Kreis oder Publikum bewundert, verehrten sich aber auch oft untereinander – ein Phänomen, das sich über Zeiten hinweg verfolgen lässt (unter anderem auch in Ausstellungsprojekten der Gegenwart).[1] Innerhalb des Dissertationsprojektes wurde herausgearbeitet, dass sich die von Vasari verwendeten narrativen Muster an Heldenfiguren orientierten und sie genutzt wurden, um ausgewählten Künstlern eine exzeptionelle Ausstrahlung zuzuschreiben. Die spezifischen Eigenschaften der verehrten Künstler Vasaris folgten dabei bestimmten Leitmotiven, die wiederholt angewendet wurden und auf diese Weise Helden formten und miteinander verbanden. Beispielhaft zu nennen wäre hier die schicksalhafte Geburt unter günstigen Sternen oder das Genie des Künstlers, das sich nicht erst im Erwachsenenalter zeigt, sondern sich bereits im Kindesalter offenbart: Der künstlerische Weg nimmt folglich oftmals mit der Entdeckung als Wunderkind seinen Anfang.

Der Künstlerheld zeichnet sich demnach deutlich durch seinen Konstruktionscharakter aus – denn es gibt ihn – wie auch den traditionellen kämpferischen Helden – nicht per se, sondern er muss erst erschaffen werden.

Die schriftlich fixierten Viten sind somit Grundstein für eine soziale Praxis einer aktiven Heldenerinnerung. Vasari kommt innerhalb dieser Praxis eine herausragende Position zu: Er wird buchstäblich zur Stimme des Helden, die das klare Ziel verfolgt, die von ihm gewählten Künstler vor dem bereits angesprochenen zweiten Tod des Vergessens zu bewahren. Der gemeinsame Ausgangspunkt der Heldenfiguren scheint dabei vor allem ihre besondere Ausstrahlungskraft zu sein, die sich in der Verkörperung von Charisma offenbart und sie somit als Instanzen der Vermittlung zwischen dem Menschlichen und Göttlichen einzigartig macht.



[1] Satzinger, G. 2015: Warum Michelangelo?, in: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) 2015: Der Göttliche. Hommage an Michelangelo. Unter Mitarbeit von Berger, U./Krahn V./Myssok J. /Satzinger G./Schütze,S., 6. Februar bis 25. Mai 2015, Bundeskunsthalle Bonn, München, 14–33; Thimann, Michael (Hrsg.) 2015: Sterbliche Götter. Raffael und Dürer in der Kunst der deutschen Romantik, anlässlich der Ausstellung "Sterbliche Götter. Raffael und Dürer in der Kunst der deutschen Romantik", Göttingen, Kunstsammlung der Universität Göttingen, 19. April bis 19. Juli 2015, Rom, Casa di Goethe, Frühjahr 2016, Petersberg.

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