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Teilprojekt B4

‚New Washingtons‘? Die Heroisierung amerikanischer Präsidenten zwischen Früher Republik und Reconstruction

Teilprojektleitung: Prof. Dr. Michael Butter; Mitarbeiterin: Katharina Thalmann
 
Projektdauer: 2012-2016 Bericht als PDF


Das Teilprojekt untersuchte auf der Grundlage eines Korpus von knapp 2000 Gedichten und Liedern die Heroisierung amerikanischer Präsidenten von George Washington bis Abraham Lincoln. Dabei ging es von zwei Hypothesen aus: (1) Mit der Heroisierung George Washingtons bildete sich ein neuer Typ des Helden heraus, der auf die spezifischen Bedürfnisse des gerade unabhängig gewordenen Landes zugeschnitten war. Washington wurde dabei in expliziter Abgrenzung zu monarchischen Helden Europas als republikanischer Held inszeniert. (2) Dieser Heldentypus erlangte in den folgenden Jahrzehnten modellhaften Charakter.

Das Projekt schloss somit an das in der Amerikanistik seit einiger Zeit herrschende Interesse an Heldenfiguren und deren sozialen Funktionen an. Es verschob jedoch den Fokus auf den Prozess der Heroisierung, also die Konstruktion von Heldentum, und nahm eine dezidiert historische Perspektive ein. In der Forschung überwiegen dagegen weiterhin Arbeiten, die sich auf die Gegenwart konzentrieren. Die Untersuchung konnte aber an einige Arbeiten anschließen, die sich mit der Heroisierung George Washingtons beschäftigt haben.1 Das Teilprojekt hat hier bereits vorhandene Erkenntnisse ergänzt und aufgrund der Frage, welche Aspekte der heroischen Persona Washingtons Teil des Modells werden, neu perspektiviert. Die im Teilprojekt hauptsächlich untersuchte Heroisierung von Washingtons Nachfolgern hatte in der Forschung dagegen bisher fast keine Aufmerksamkeit erfahren. Einzig zur Inszenierung Andrew Jacksons und Abraham Lincolns lagen bei Projektbeginn Studien vor.2 Hier betrat das Teilprojekt Neuland.

Die Bearbeitung bestätigte die im Antrag formulierten Hypothesen. Mit der Heroisierung George Washingtons etablieren sich in der Tat ein Modell des Helden und eine bestimmte Sprache des Heroischen, die auf die Inszenierung seiner Nachfolger enormen Einfluss haben. Im Lauf der Zeit erfahren das Modell und die ihm zugrunde liegenden Codes natürlich gewisse Modifikationen; sie bleiben jedoch bis zur kurz vor dem Bürgerkrieg wirkmächtig. Erst bei Lincoln zeichnet sich eine Pluralisierung der heroischen Formen ab. Lyrik und Lieder – der Übergang zwischen beiden ist im Untersuchungszeitraum oft fließend – haben sich als die dominanten Medien der Heroisierung erwiesen. Das zeigt sich zum einen daran, dass ein unerwartet großes Textkorpus erschlossen wurde, zum anderen aber daran, dass in diesen Medien Heroisierung, aber auch Deheroisierung pointierter betrieben werden als in anderen Medien, die immer wieder zum Vergleich herangezogen wurden.

Im Einzelnen gelangte das Teilprojekt zu folgenden Ergebnissen: (1) Die Heroisierung George Washingtons wurde systematischer beschrieben, als dies in bisherigen Studien der Fall war, die sich auf Einzelaspekte konzentriert haben. Auch wurde differenziert zwischen denjenigen Eigenschaften, die zwar Washington zugeschrieben werden, aber nicht Teil des Heldenmodells werden, und denjenigen, die für die Heroisierung der Nachfolger nach seinem Vorbild relevant sind. Die Cincinnatus-Pose z.B. wird Teil des Modells, die Anlehnungen an Moses dagegen nicht. (2) Die Heroisierung nach Washingtons Vorbild ist bereits bei seinen unmittelbaren Nachfolgern John Adams und Thomas Jefferson zu beobachten. Anders als nach dem Krieg von 1812 spielte militärisches Heldentum noch keine privilegierte Rolle. Adams und Jefferson konnten als wahrhaftige Nachfolger Washingtons dargestellt werden, obwohl sie nicht als Soldaten gedient hatten. Zudem setzt mit der Konkurrenz zwischen Adams und Jefferson und ihren Parteien eine Entwicklung ein, die für den gesamten Untersuchungszeitraum charakteristisch ist: Der eigene Kandidat wird als legitimer Nachfolger Washingtons heroisiert, dem Kandidaten der anderen Partei dagegen werden alle relevanten Eigenschaften abgesprochen; er wird deheroisiert. (3) Der Krieg von 1812 markiert für die Entwicklung des Heldenmodells einen wichtigen Einschnitt. Im Zuge des Krieges wurde militärisches Heldentum zu einer immer wichtigeren Eigenschaft von Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten. Es reichte nicht aus, um als neuer Washington angesehen zu werden, war aber zunehmend eine notwendige Bedingung dafür. Präsidenten wie James Madison oder John Quincy Adams, denen diese Eigenschaft abging, wurden daher von vielen als defizitär empfunden und entsprechend kritisiert. Ein erfolgreicher General wie Andrew Jackson dagegen erschien in der öffentlichen Wahrnehmung wie ein zweiter Washington. Dies ist besonders bedeutsam, da die Forschung bisher eher die Unterschiede in Habitus und Ausrichtung zwischen Washington und Jackson betont hat. (4) Beeinflusst von Jacksons enormer Popularität nominierte die Partei der Whigs in den zwei Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg für Präsidentschaftswahlen wiederholt erfolgreiche Generäle, die militärisches Heldentum bereits mitbrachten und denen dann die übrigen Eigenschaften des Heldenmodells zugeschrieben wurden. Bedeutsam ist hier v.a. die Heroisierung William Henry Harrisons im Wahlkampf 1840, weil hier der ‚Washington-Code‘ erneut modifiziert wurde. Viel mehr noch als Andrew Jackson einige Jahre zuvor wurde Harrison als einfacher Mann aus dem Volk dargestellt. Das Heldenmodell Washington wurde also weiter demokratisiert, was sich auch auf die Heroisierung späterer Präsidenten wie Zachary Taylor auswirkte.

 

1 Bryan, W. A. 1952: George Washington in American Literature, 1775–1865, New York; Cuncliffe, M. 1982: George Washington. Man and Monument, New York; Hay, R. P. 1969: George Washington. American Moses, in: American Quarterly 21, S. 780–791; Schwartz, B. 1987: George Washington. The Making of an American Symbol, New York; Wills, G. 1984: Cincinnatus. George Washington and the Enlightenment, Garden City, NY; Depkat, V. 2008: Die Erfindung der republikanischen Präsidentschaft im Zeichen des Geschichtsbruchs. Geor-ge Washington und die Ausformung eines demokratischen Herrscherbildes, in: Zeitschrift für Geschichtswis-senschaft 56, S. 728–742; Depkat, V. 2011: The Grammar of Postrevolutionary Visual Politics. Comparing Presidential Stances of George Washington and Friedrich Ebert, in: U. Hebel / C. Wagner (Hrsg.), Pictorial Cul-tures and Political Iconographies. Approaches, Perspectives, Case Studies from Europe and America, Berlin, S. 176–197; Fitz, K. 2010: The American Revolution Remembered, 1830s to 1850s. Competing Images and Conflicting Narratives, Heidelberg; Niggemann, U. 2009: Normative Modelle für die amerikanische Präsident-schaft: George Washington in der Funeralliteratur von 1799 und 1800, in: Historisches Jahrbuch 129, S. 101–130; Niggemann, U. 2011: Von einer Oppositionsfigur zum staatstragenden Modell: Cincinnatus in der anglo-amerikanischen Publizistik des 18. Jahrhunderts, in: Ders. / K. Ruffing (Hrsg.), Antike als Modell in Nordameri-ka? Konstruktion und Verargumentierung, 1763-1809 (Historische Zeitschrift Beiheft 55), München, S. 249–273.
2 Ward, J. W. 1962: Andrew Jackson. Symbol for an Age, Oxford/New York; Fenton, E. 2009: Whitman, Lincoln, and the Union of Men, in: ESQ. A Journal of the American Renaissance 55, S. 237–267.

Publikationen des Teilprojekts

  • Butter, M. 2016: Der Washington-Code. Heroisierungen amerikanischer Präsidenten (Figurationen des Heroischen 3), Göttingen.
  • Butter, M. 2014: Cincinnatus Popularized: The Heroization of William Henry Harrison during the Election Campaign of 1840, in: helden. heroes. héros. E-Journal zu Kulturen des Heroischen 2.1: Populärkultur, S. 16–28, DOI: 10.6094/helden.heroes.heros./2014/01/03.
  • Datenbank: Poems on American Presidents, 1789-1865, https://presidents.ub.uni-freiburg.de/index.php.

 

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