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Andreas Haller


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Vergleichende Literaturwissenschaft, Universität Bonn

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Dissertationsprojekt "Mythische Räume der Gesetzlosigkeit"

Gesellschaftliche Diskurse um Herrschaft und Widerstand, um Souveränität und Legitimität finden ihren Niederschlag im Mythos des Gesetzlosen. In gesellschaftlichen Konfliktsituationen werden Geschichten über den guten Gesetzlosen zum Bezugspunkt von Unzufriedenheit und widerständigem Verhalten. Der Kampf gegen das herrschende Recht wird mit dessen Illegitimität begründet: es sei Unrecht in Gesetzesform. Der Gesetzlose avanciert zum sozialen Rebellen, seine Revolte richtet sich gegen das aus dem Kriegszustand hervorgegangene Recht und seine Handlungen werden moralisch begründet: für die Freiheit leistet er Widerstand gegen illegitime Herrschaft und für soziale Gerechtigkeit nimmt er den Reichen, um den Armen zu geben. Robin Hood gilt als Paradigma für diese Form des „Sozialbanditen“ (Eric Hobsbawm). Durch den Mythos wird der Gesetzlose zum Held der sozial Benachteiligten und Unterprivilegierten. Anstatt jedoch den Sozialbanditen als gesetzlosen Helden typologisch zu beschreiben, wie dies in der Nachfolge Hobsbawms immer wieder getan wurde, mit dem Ziel diese Typologie zu bestätigen oder zu verwerfen, ist es ein zentrales Anliegen meiner Arbeit, die Typologie des Gesetzlosen und deren politischer Mythos einer Kritik zu unterziehen, die ihren Blick auf räumliche Konstellationen richtet.

Der gesetzlose Sozialbandit ist eine relationale Figur, die eine Grenze durch Überschreitung markiert. Er überschreitet die Grenze der zivilisierten Gesellschaft nicht nur durch den Bruch des Rechts, sondern auch wortwörtlich dadurch, dass er in den Wald, in die Berge, in den Busch oder auf das Meer hinaus geht. Dies geschieht entweder zum eigenen Schutz, um der Bestrafung zu entgehen oder es ist das Mittel der Bestrafung selbst wenn Johann G. Fichte 1797 erklärt, was mit dem Gesetzlosen geschehen soll: „Ziehe er in eine Wildnis und lebe er unter den Tieren.“ Der Gesetzlose steht außerhalb der rechtlich begründeten Gesellschaft, aber er kann ohne den Bezug zu deren juristisch eingehegtem, ergo zivilisiertem, Territorium nicht verstanden werden. Als mythischer Held einer gesetzlosen Wildnis, eines extraterritorialen Raums, ist der „primitive Rebell“ nach Hobsbawm als Figur sozio-historisch an eine agrarisch geprägte Gemeinschaft gebunden. Den Sozialbanditen kann es nur geben, so lange es Orte gibt, die außerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes liegen oder an denen zumindest diese Geltung nicht durchgesetzt werden kann.

In meiner Untersuchung der Erzählungen über Robin Hood, Klaus Störtebeker und Jesse James zeigt sich: heute sind die Grenzen gefestigt, Sherwood Forest, Nord- und Ostsee, der amerikanische Westen sind längst befriedet, doch als „real-and-imagined places“ (Edward Soja) sind diese Räume der Gesetzlosigkeit immer noch im kulturellen Gedächtnis präsent. Die realen geographischen Orte werden im Akt des Erzählens fingiert. Die literarische Fiktion erschafft sie als imaginierte Orte. In ihnen kristallisiert sich ein Fluchtpunkt der Zivilisation, das Phantasma einer raum-zeitlichen Konstellation in der die 'frontier' noch nicht geschlossen und der Möglichkeitshorizont noch offen war. Die Vorstellung eines gesetzlosen Raums ist Ausdruck der Sehnsucht nach einer mythisch-heroischen Zeit, in der der Einzelne durch seine Tat noch einen Unterschied machen konnte.

Darin zeigt sich auch der Unterschied zwischen dem Sozialbanditen und modernen Figuren der Gesetzlosigkeit, wie dem Gangster und dem Revolutionär. Letztere sind Figuren nach der Schließung der Grenze. Die Dynamik von Utopie und Heterotopie (Michel Foucault) ist hier nicht mehr zu finden. Der Gangster hat sich in den heterotopischen Rissen des Bestehenden eingerichtet, der Revolutionär konzentriert seine Energie auf die Realisierung des Utopischen in der Geschichte. Zwar wird diesen Figuren manchmal ebenfalls ein Heldenstatus zuerkannt oder sie legitimieren sich sogar selbst durch das Image eines Robin Hoods, mit dem antimodernen Sozialbanditen haben sie wenig zu tun.

Auch wenn der Held am Ende sterben muss – gewöhnlich durch einen Verrat –, aus der Welt muss, weil die Zeiten sich ändern, so erweist sich dessen Mythos als unsterblich. In der Untersuchung zeitgenössischer Adaptationen gilt es deshalb die Frage nach der Amodernität dieser Heldenfigur nicht aus dem Blick zu verlieren und den Anachronismus dieser Erzählungen begreifbar zu machen und ihre anhaltende Relevanz zu ergründen.

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